Kurier
naiv.
»Ungefähr dreihundert oder vierhundert Leute würden ihn
liebend gern umbringen. Weißt du, was er bei sich hat? Runde fünfzig Millionen
Mark. Deine gottverdammte Geschäftsbasis. Wie viele Morde ist das wert? Geh hin
und warne ihn. Sag ihm einen schönen Gruß: Er sollte lieber ganz schnell
tausend Kilometer zwischen sich und Berlin bringen!«
»Das ist nicht dein Ernst!«, sagte sie. »Niemand weiß etwas
von dem Stoff und dem Geld.«
»Das ist nicht wahr.« Grau fuchtelte mit beiden Händen.
»Ich weiß es und ich bin Journalist. Und die Peruaner wissen es, sie kamen
extra aus Amsterdam.«
Es war plötzlich sehr still.
»Ich muss gehen«, sagte sie dann mit der Stimme eines
kleinen Mädchens. »Ich muss mich im Memphis zeigen und so tun, als wäre nix gewesen. Die Bullen werden kommen und fragen: ›Wo
ist Meike?‹ Sundern wird sagen: ›Hier ist sie!‹ Dann wird er lächeln, als
könnte er kein Wässerchen trüben. Ich wette, er will nur, dass ich … na ja, ich
muss jetzt gehen. Du hast aber immer noch ein paar Wünsche frei.«
»Schon gut, Mädchen«, sagte Grau. »Dann wünsch ich mir, dass
du mit dem Koksen aufhörst. Irgendwann ist sonst nämlich dein zentrales
Nervensystem völlig am Arsch, und du wirst langsam und jämmerlich ersticken.
Ende des Märchens. Prinzessin mausetot.«
Ihr Lächeln flackerte. »Du bist ganz schön brutal.«
»Das ist nicht wahr«, widersprach er. »Und noch etwas. In
dem Haus, in dem dich die Peruaner gefangen gehalten haben, lebt ein ganz
junges Pärchen. Wilder Irokesenkamm, bunt gefärbte Haare. Sie heißen Zora und Geri,
und sie haben bei deiner Befreiung mitgeholfen. Sie wollen spülen, in irgendeiner
Kneipe spülen. Ich meine …«
»Geronimo wird sie holen«, versprach sie. »Ich sage ihm
Bescheid, er wird sie noch diese Nacht holen. Übrigens Grau, hast du Erfahrung
mit Koks?«
»Nein. Ich habe Erfahrung mit einer Tochter. Sie ist am
Heroin krepiert.«
»Das tut mir leid, das wusste ich nicht. Das tut mir wirklich
leid.«
»Es muss dir nicht leid tun«, sagte Grau. »Du hast sie
nicht gekannt, du musst nicht irgendwas Tröstliches daherplappern. Verdammt,
hör auf mit dem Scheiß!«
Sie stand auf, drehte sich schnell herum und ging hinaus.
In der Tür gab sie Milan die Klinke in die Hand, und Grau bat hastig: »Ich muss
dringend mal telefonieren. Geht das?«
»Ich bringe dir ein Telefon«, sagte Milan.
»Meike!«, rief Grau. »Du solltest Mehmet und Sundern
sagen, dass sie Nase in Ruhe lassen. Nicht töten, nicht vierteilen, nicht
rädern. Ich brauche den Mann heil und am Stück.«
»Ist gut, ich werde es ihnen sagen«, tönte ihre Stimme
auf dem Flur.
Milan kam mit dem Funktelefon und gab es Grau. »Was weiß
diese Frau?«
»Stückwerk«, sagte Grau. »Sie behauptet, dass dieser Steeben
noch lebt, sie hatte ein Telegramm von ihm, das er angeblich gestern geschickt
hat. Es liegt da auf dem Tisch. Sie sagt, dass niemand weiß, wo Geld und Koks
abgeblieben sind. Wieso weiß das niemand, wenn Steeben wirklich noch lebt?«
»Ich habe nachgedacht«, sagte Milan. »Ich glaube, da ist
eine Panne passiert. Irgendetwas ist schiefgegangen. Ich weiß nicht, was. Du musst
noch einmal alles genau erzählen. Vielleicht ist da ein Fehler, vielleicht
haben sie einen Fehler gemacht.«
»Es gibt tatsächlich einen Fehler.« Grau griff nach
seinem Hemd. »Ich habe ihr die Fotos von Thelen und White gezeigt. Sie sagt,
sie hat die Männer gesehen. Sie sagt auch, sie sind sogar mehrmals in Berlin
aufgetaucht. Ulrich Steeben, der auch Markus Schawer heißt, hat White und
Thelen getroffen. Da ist was faul, verstehst du? White hat behauptet, er hätte
sich Ulrich Steeben nie genähert. White sagte, Steeben wäre neu im Geschäft und
sie hätten ihn nur beschattet, aber keinen persönlichen Kontakt gehabt. White
hat also gelogen. Wo ist Sundern jetzt?«
»Im Memphis. Was
ist, wenn das Ganze ein Bluff war?«
Grau hielt mitten in der Bewegung inne. »Daran habe ich
auch schon gedacht. Aber dann muss es auch jemanden geben, der davon profitiert.
Hat dieser Indianer, den ich mitgebracht habe, gesungen?«
»Dir wird es Sundern sagen, mir sagt von denen keiner
was. Ich habe mich um das Thema Nase gekümmert, habe Mieze gefragt, ob sie
Thelen und White kennt, habe ihr auch die Fotos gezeigt. Sie hat die beiden
noch nie gesehen, aber sie sagt, Nase habe sie manchmal mitgenommen auf irgendeinen
Bauernhof, den er sich gekauft hat. Da hat er sich dann
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