Kurier
also aus Bonn raus? War eine Frau schuld?«
»Ja und nein. Nein, es war nicht die Frau, sie war nicht
so wichtig. Es war etwas anderes.«
»Deine Tochter?«
»Die auch. Ich weiß es nicht so genau. Ich erzähle es einfach
mal. Machen wir uns einen Kaffee?« Sie ließen sich in der Küche häuslich
nieder, zuweilen hörten sie sehr entfernt Sigrid und Milan Liebe machen.
»Wie ist er denn, dein Sundern?«, fragte Grau beiläufig.
»Glaub aber nicht, dass ich dich aushorchen will. Ich will keinen mehr
aushorchen. Ich glaube, ich mag Sundern, also kann ich fragen, wie er ist, oder?«
»Na sicher kannst du das, schließlich war ich mit ihm verheiratet.
Tja, wie ist Sundern, oder wer ist Sundern? Also zunächst mal ist er ein
verrückter Typ. Er ist erfolgreich, aber kein Angeber, und er ist auch kein
Schwätzer. Er war hart genug, sich durchzusetzen. Das sagt alles, oder? Kein
Mensch schmeißt den aus Berlin raus, kein Mensch!«
»Wieso hast du ihn denn geheiratet?«
»Er hat es mir angeboten und ich habe angenommen«, sagte
sie nach kurzem Zögern erstaunt. »Es war einfach und es war manchmal auch
schön. Was willst du eigentlich rausfinden, Grau?«
Er stemmte sich hoch, hockte sich auf die Anrichte und
betrachtete sie. »Ich weiß gar nicht, ob ich etwas herausfinden will.
Vielleicht will ich nur auf Umwegen Steeben entdecken. Dann sage ich meinen Leuten:
Steeben ist tot, oder: Steeben lebt, danach kassiere ich, und die Geschichte
ist gelaufen.«
»Und was passiert dann?« Sie nahm einen kleinen Anlauf
und landete ganz dicht neben ihm auf der Anrichte.
»Das weiß ich nicht. Jedenfalls will ich nicht zurück
nach Bonn. Irgendwo einen Job finden und arbeiten. Vielleicht hier, vielleicht
woanders.«
»Bist du einer, der überall und nirgends zu Hause ist?« Ihre
Stimme klang nüchtern. Das verletzte ihn.
»Kann sein, dass ich so einer bin. Ich weiß es nicht.
Keine Nabelschau, bitte. Nicht jetzt. Ich habe dich getroffen, und das ist gut
so. Ich will jetzt nicht weiterdenken. Ich weiß, du bleibst hier. Es war nur etwas
gegen die Sprachlosigkeit. Aber erst einmal Kaffee.« Er goss das kochende
Wasser in den Filter. »Gehört Sundern zur Unterwelt?«
»Ach Gottchen, Grau, darauf gibt es keine Antwort. Was
heißt denn schon Unterwelt? Ist das ein Haufen von Gangstern, die ständig auf
ihren Maschinenpistolen schlafen?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Grau drängend, »ich weiß es wirklich
nicht. Ich bin in dieser Angelegenheit ein Greenhorn.«
Sie griff nach dem Kragen seines Bademantels und zog ihn ganz
dicht neben sich. »Verwendest du es auch nicht? Du darfst es nicht verwenden,
weil es um meinen Sundern geht. Aber du musst es wissen, damit du ihn
einschätzen kannst. Er ist ein prima Kerl, nichts als ein prima Kerl. Er hat
seine Geschichte, deshalb hockt er Nacht für Nacht im Memphis. Ohne diese Geschichte, Grau, kann niemand das mit dem Memphis verstehen. Klar, es gibt jede
Menge Märchen über ihn. Aber die stimmen alle nicht.«
»Ich verwende es nicht«, versprach Grau und sah in ihre
Augen. »Ich verwende es niemals gegen ihn, okay?«
»Er ist eigentlich jemand, der eine eigene Familie haben
wollte, aber nie eine haben wird. Er ist Solist, verstehst du, und er wird
immer einer sein. Er ist im Memphis mehr zu Hause, als er jemals in meinem Bett war.
Er schleppt so eine Geschichte mit sich rum, weil er
nicht weiß, wer sein Vater war. Seine Mutter weiß es auch nicht. Und glaub mir,
Grau, er gehört nicht zur Unterwelt, wie du das so schön nennst. Sundern dreht
keine krummen Dinger. Wenn er gesagt hat, er würde Nase dafür töten, dass der
mir Heroin gespritzt hat, dann ist das der einzige Mord, den er je begehen
würde.
Sundern ist ein Nachtmensch, er lebt nur nachts richtig
auf. Er sagt von sich selbst, dass er tagsüber blind ist wie ein Maulwurf. Er
mag den Tag nicht, er hasst ihn sogar. Im Büro muss man immer die Vorhänge
zuziehen, er stellt damit die Nacht wieder her. Ganz gleich, was er tut – es muss
Nacht sein.«
»Wer ist seine Mutter?«
»Eine alte Hure, die wirklich keine Ahnung hat, wer sein
Vater war. Sie hat ihn geboren und sofort weitergegeben. Er hatte viele Mütter
und viele Väter. Da waren erst mal die Oma und der Opa, dann Tanten und Onkel,
dann Familien von Kneipenbesitzern, auch mal eine Sozialarbeiterin. Er hatte
nie ein Zuhause. Jetzt ist das Memphis seine Familie, und das ist eigentlich eine verdammt gute Familie.«
»Aber er hat Jura
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