Kurier
hinunterführte,
und ihre Schuhe klackten hell auf dem uralten Pflaster.
»Der Mann gehört nicht zur Berliner Szene«, erklärte
White. »Das ist mein Handicap. Er ist ein Außenseiter, sozusagen ein
Seiteneinsteiger.«
»Warum setzen Sie nicht ein Dutzend Ihrer Spezialisten
auf ihn an?«, fragte Grau misstrauisch.
»Haben wir längst getan«, antwortete White müde. »Es gibt
nichts, was wir nicht getan haben. Klingt gut für einen Journalisten, nicht
wahr?«
»Klingt gut«, gab Grau zu. »Sie sind also auf mich verfallen,
weil mich kein Mensch in der Szene kennt und weil ich diesen Beruf habe?«
»Ja. Und weil ich Sie ein bisschen kenne.«
»Wie behalte ich meinen Job? Ich kann nicht einfach verschwinden.«
»Sie können zunächst Ihren ganzen Urlaub verjubeln. Anschließend
schreibt Sie ein Mediziner der US-Botschaft krank, inklusive Kur.«
»Wer trägt die Spesen?«
»Spesen trage ich unbegrenzt gegen Quittung. Sie bekommen
außerdem täglich zweihundert Dollar Bewegungsgeld ohne Abrechnungspflicht. Sind
Sie erfolgreich, bekommen Sie dreißigtausend Dollar. Zehntausend davon sofort,
die behalten Sie so oder so.«
»Wo muss ich arbeiten?«
»In Berlin.« White wurde etwas lebhafter. »Sie arbeiten
für National Geographic an einer
Geschichte der wiedererstandenen deutschen Hauptstadt. Sie müssen also zuweilen
Englisch sprechen. Wie ist Ihr Englisch?«
»Besser als das meines Kanzlers. Wer hat mir den Auftrag
für National Geographic gegeben?«
»Die New Yorker Redaktion. Ein Mann namens Tree hat Sie
in Bonn angerufen, Sie haben akzeptiert. Sie kennen Tree nicht, aber das ist
auch nicht notwendig.«
»Kein Deckname? Kein Arbeitsname?«
»Nicht nötig. Sie sind Jobst Grau, Sie sind Journalist,
Sie recherchieren, Sie haben nichts mit Rauschgift oder Dealern zu tun.«
Grau dachte erstickt: Mach’s gut, Angie! Dann fragte er:
»Habe ich Kontakt, wenn etwas schiefgeht?«
»Natürlich. Kontakt über DEA Bonn. Botschaft. Tag und
Nacht.«
»Da stimmt etwas nicht«, murmelte Grau. »Sie sagten: Fast
niemand weiß, dass Sie sich an mich wenden. Wie können Sie mich dann bezahlen?«
White lächelte zuerst, dann lachte er. »Von meinen zwanzig
Vorgesetzten glauben sechs daran, dass ich die Sache wieder in Ordnung bringe.
Also habe ich einen Etat und bezahle Sie nicht von meinem Sparbuch.«
»Wann muss ich anfangen?«
»Vorgestern.«
»Dann will ich die Geschichte hören.«
Sie setzten sich auf eine Bank am Rheinufer und starrten
auf den stark frequentierten Fluss. Die beiden Männer wirkten wie zwei alte
Büroangestellte, die Mittagspause machen und sich wortlos darüber verständigen,
dass sie nie eine weitere Sprosse auf der Karriereleiter vor sich haben werden.
Whites Bericht
Die Geräuschkulisse ließ nicht zu wünschen übrig. Da waren die
tuckernden Dieselmotoren der Rheinschiffe, einmal ferner, einmal näher. Da war
das Summen der Stadt hinter ihnen: Die jungen Linden rechts und links rauschten
sanft zischend im Wind, ein paar Kinder übten auf Skateboards, Spaziergänger
schlenderten plaudernd vorbei.
Trotzdem schien es Grau, als säßen sie in einem geschlossenen
Raum.
White sprach sehr leise. In der rechten Hand hatte er einen
kleinen dünnen Ast und malte damit wirre Linien in den Sand zwischen zwei
zerzausten Grasbüscheln. »Haben Sie die Welt der Drogen so ungefähr im Blick?
Wissen Sie, was läuft?«
Grau schüttelte den Kopf. »Gelegentlich lese ich darüber,
sonst nichts.«
White nickte bekümmert. »Okay, okay. Sie müssen auch die
hemmungslos provinziellen deutschen Politiker vergessen, wenn Sie die Lage
begreifen wollen. Es besteht sonst die Gefahr …«
»White«, unterbrach Grau sanft, »bitte keine pädagogische
Exkursion. Ihr Amis seid schließlich Weltmeister in Provinzialismus.«
»Ich weiß.« White nickte. »Deshalb erwähnte ich diesen
Punkt. Und Ihr Deutschen seid fantastische Schüler.«
Er grinste flüchtig. »Die Drug Enforcement Administration
arbeitet wie eh und je weltweit. Wir sind der einzige Geheimdienst der Welt,
der sich exklusiv auf Drogen und Drogengelder spezialisiert hat. Wir sind auch
die einzige Gruppe, deren Mitglieder ausnahmslos diplomatischen Status haben
und die logischerweise beim Finanzministerium angesiedelt ist, denn schließlich
geht es ja um Geld, um die Ware also …«
»Al White.« Grau legte ihm die Hand an den rechten Oberarm.
»Ich soll einen Mann in Berlin suchen, der möglicherweise eine Leiche
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