Kurier
aufgelöst.«
»Diese Kiste ist zu schwer für mich.«
»Wenn einer, dann Sie«, beharrte White. »Sie sind hartnäckig,
und Sie sind vor allem naiv.«
Grau wandte ihm den Kopf zu und lächelte. Dann nickte er.
»Also schießen Sie los. Was muss ich über Steeben wissen?«
»Ein seltsamer Junge. Er ist achtundzwanzig. Doktor der
Ingenieurwissenschaften, hochintelligent, eiskalt, ein Superkarrierist. Er ist
der einzige Sohn eines Allgemeinmediziners in Tübingen. Der Arzt warf seinen
Sohn gleich nach dem Abitur raus. Begründung: Der Junge wäre gefühllos, bar
jeder Moral, hätte null Gewissen. Der Junge ging nach Aachen zum Studium.
Nachdem er das Examen und den Doktor gemacht hatte, eröffnete er eine Kneipe,
war erfolgreich und verscherbelte zudem alle möglichen Sachen.«
»Drogen?«
White schüttelte den Kopf. »Nicht die Spur. Eher ein Gesundheitsbolzen.
Joggt jeden Morgen; der rennt mühelos zwanzig Kilometer am Stück, ehe er arbeiten
geht. Verliebt in den eigenen Körper.«
»Frauen?«
»Jede Menge. Aber brutal. Meistens Nutten. Er schlägt
sie, wenn sie nicht parieren.«
»Ein Sadist?«
»Möglich, aber nicht von der krankhaften Sorte.«
»Wieso denn Diplomat?«
»Hat eindeutig mit seiner Karriere zu tun. Beruflich ist
er ein Ass, sprachlich ein kleines Genie. Hat immer nebenbei irgendeine Sprache
gelernt. Spanisch, Englisch sowieso, Italienisch natürlich. Ja, und Russisch,
perfekt Russisch. Diplomat deshalb, weil er begriffen hat, dass der Dienst in
der Diplomatie ihm zu einer gewissen Narrenfreiheit verhilft. Das Auswärtige
Amt nahm ihn sofort. Er wurde wie üblich durch sämtliche Schulungen gejagt. Man
prophezeite ihm eine schnelle, steile Karriere.«
»Parteizugehörigkeit?«
»Selbstverständlich Freier Demokrat, aber ebenso selbstverständlich
war für ihn die Partei nur Steigbügelhalter für die Karriere.«
»Wie kommt denn der an Drogen?«
White grinste. »Sehr einfach: Er machte die Bekanntschaft
des Drogenfinanziers, des Südländers. Das war vor rund fünf Jahren. Er nahm ihn
gewissermaßen an Sohnes statt an. Uli wurde Drogenlehrling, ganz langsam. Er
mag reiche Leute, der liebe Ulrich, und die lernte er auf diese Weise kennen.«
»Und das Auswärtige Amt? Hat das auf diese merkwürdige
Bekanntschaft reagiert?«
Ȇberhaupt nicht. Ob jemand etwas wusste oder nicht, ist
eigentlich egal, denn der Drogenpapi ist ein höchst ehrenwerter Mann, ein
braver Steuerzahler, einer, der viel Geld an die Armen spendet.«
»Wann ist das eigentlich alles passiert?«
White zerbrach den dürren Ast. »Vor ein paar Tagen erst.«
»Und woher wissen Sie all die Einzelheiten?«
White schüttelte bedächtig den Kopf. »Ich gebe Informanten
niemals preis. Das werden Sie verstehen.«
»Dann erzählen Sie mir wenigstens noch ein paar Details.«
»Steeben war in den letzten Monaten als Kurier des Auswärtigen
Amtes unterwegs. Er graste die Botschaften auf beiden amerikanischen
Kontinenten ab. Also von Bonn nach Washington, New York, Los Angeles, Mexico
City, Rio und so weiter. Diese Jungs sammeln wichtige Post und Dokumente ein
und bringen sie nach Bonn. Alle vierzehn Tage.
Ulrich machte eine scheinbar ganz normale Runde. Er nahm
in Rio das Kokain und das Geld in zwei zusätzlichen offiziellen Kurierkoffern
auf und flog nach Amsterdam. In Amsterdam steigt er normalerweise in eine
Linienmaschine nach Bonn um. Dieses Mal aber nahm er eine Maschine nach Berlin.
Das ist kein Problem, denn er besitzt so ein Ticket des Auswärtigen Amtes, mit
dem er in jede Maschine der Welt einsteigen und irgendwohin düsen kann.
Wir kannten den Plan und haben ihn auf der ganzen Reise
begleitet. Wir wollten keinen direkten Kontakt aufnehmen, erst einmal
beobachten. Bei neuen Kunden sind wir vorsichtig. Er landete mit United Airlines
in Berlin, stieg aus, ließ seine Koffer in zwei Taxis laden und fuhr ins Hotel.
Meine Leute scharwenzelten natürlich immer um ihn herum.
Im Hotel hatte er bereits ein Zimmer gebucht. Sein Gepäck wurde von Pagen
hinaufgetragen. Meine Leute checkten ebenfalls ein, und als sie zehn Minuten
später kontrollieren wollten, ob Ulrich sein Zimmer bezogen hat und sich
wohlfühlt, war der verschwunden. Mit ihm das gesamte Gepäck …«
»Also auch die normale Kurierpost?«
»Auch die. Die ist aber inzwischen von Unbekannten nach
Bonn geschickt worden. Es hing ein Zettel dran: Mit schönen Grüßen an den Herrn Außenminister. Ulrich dagegen ist
und bleibt
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