Kurpfalzblues
sein,
nur weil der Alkoholiker ist. Er macht es sich eben manchmal auch etwas zu
einfach, dein Roland.«
»Wenn Roland sich in etwas verrennt, dann hat er auch Gründe dafür!«
»Ach, und ich dachte immer, so etwas nennt man Vorurteile!«
Vera blitzte sie an.
»Roland hatte eine Cousine. Sie war sieben und wollte sich auf der
anderen Straßenseite ein Eis kaufen. Ein Betrunkener hat die Kontrolle über
sein Auto verloren. Er ist auf den Bürgersteig gefahren, in die Menge, die an
der Ampel stand. Sie hat zehn Wochen im Koma gelegen, dann ist sie gestorben.«
Vera sah sie mit diesem Blick an, mit dem sie Maria schon als Kind
in die Enge getrieben hatte.
»Vielleicht verrennt er sich, Mama. Aber passiert das nicht jedem
von euch einmal? Wenn einem etwas zu nah geht? Wenn man auf einem Auge blind
ist oder sogar auf beiden? Das müsstest du doch eigentlich kennen!«
Sie wusste genau, was Vera meinte. Beim letzten Fall hatte sie sich
so gründlich verrannt und war so blind gewesen, dass es ihre Tochter fast das
Leben gekostet hätte.
»Und man braucht auch keinen seiner Mitarbeiter zu beschimpfen.
Besonders nicht, wenn er sonst alles tut, was er nur kann, um seine Arbeit gut
zu machen.«
Ob Alsberger ihr das mit dem Mädchenpensionat erzählt hatte? Leider
nicht das Einzige, was sie ihm um die Ohren gehauen hatte, seitdem sie zusammen
arbeiteten. Maria hoffte sehr, dass Vera nur die Spitze des Eisberges kannte.
»Das mit seiner Cousine tut mir leid, das wusste ich nicht.«
»Natürlich wusstest du es nicht. Wie denn auch? Dann hättest du dich
ja mal für ihn interessieren müssen.«
Vera griff nach ihrer Tasche, die unter dem Tisch stand.
»Bring das in Ordnung, sonst sind wir geschiedene Leute.«
Sie warf die Löwenmähne über ihre Schulter und ließ Maria einfach
stehen.
Im ersten Moment wollte sie ihrer Tochter hinterherlaufen. Aber
Maria wusste, dass es keinen Zweck hatte, mit ihr noch weiter zu streiten. Wenn
Vera so wütend war wie im Moment, ließ man sie am besten einfach in Ruhe.
Geschiedene Leute. Wie konnte sie so etwas nur sagen? Von seiner
Mutter konnte man sich nicht einfach so trennen, das hatte Vera wohl vergessen.
Aber man konnte natürlich verschwinden, sich selbst aus dem Leben
des anderen streichen.
Maria rührte in ihrem Kaffee, bis in der Mitte ein kleiner Strudel
entstand. Sie nahm das letzte Päckchen Zucker und ließ es hineinrieseln. Aber
auch wenn der Kaffee noch so süß war, konnte er nicht über die bittere
Erkenntnis hinwegtäuschen, dass Vera eine erwachsene Frau geworden war, die
sich im Zweifel auf die Seite des Mannes stellte, den sie liebte, egal wo ihre
Mutter stand.
Maria trank aus und ging. Draußen peitschte inzwischen der Regen
über die Straße, sammelte sich auf dem Asphalt zu kleinen Rinnsalen und
schwemmte auch das letzte spätsommerliche Staubkorn aus dem Rinnstein.
Menschen liefen vorbei, Schirme oder Einkaufstüten über den Kopf
haltend. Maria eilte mit der flüchtenden Menge zum Bismarckplatz, Richtung
Taxistand. Dicke Tropfen prasselten auf das Pflaster, so laut, dass sie das
nervöse Klingeln ihres Handys fast nicht gehört hätte.
Sie blieb stehen, drängte sich vor dem Eingang des Kaufhofs in die
Gruppe der Menschen, die Schutz vor dem Regen suchten. Zwei Frauen neben ihr
schimpften lautstark über das »Sauwetter«.
»Ja, Mooser?«
Maria presste das Handy an ihr Ohr. Es war einer der Beamten, die
die Wohnung von Sarah Szeidel überwachten.
»… an der Tür … sieht aus, als …«
Es dauerte ein wenig, bis sie endlich verstand, was der aufgeregte
Kollege ihr mitteilen wollte.
Der Lockvogel bekam Besuch!
Menschenopfer
Die Frau, die in der lodengrünen Strickjacke in Sarah Szeidels
Wohnzimmer saß, sah aus, als würde sie gleich einen letzten Seufzer ausstoßen
und in die ewigen Jagdgründe verschwinden.
Nachdem die alte Dame gesehen hatte, dass Mengert eine Waffe trug,
war sie so bleich geworden, dass Maria befürchtet hatte, sie müsse gleich einen
Notarzt rufen.
»So etwas macht man doch in der Nachbarschaft«, sagte die Frau mit
unsicherer Stimme.
Die alte Dame war der Grund, warum Maria Mengert angerufen und sich
im Eiltempo nach Handschuhsheim hatte fahren lassen. Sie und der Brief, der vor
ihnen auf dem Tisch lag.
Ein weißer länglicher Umschlag, auf dem in Druckbuchstaben »Sarah
Szeidel« zu lesen war. Er trug keine Briefmarke und hatte auch keinen Absender.
»Und was haben Sie so lange vor der Haustür gemacht?«, fragte
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