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Kurpfalzblues

Titel: Kurpfalzblues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Bach
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Maria.
    »Ich musste doch erst einmal lesen, was auf den Schildern steht. Man
kann kaum etwas erkennen«, verteidigte sich die alte Frau.
    Der Name auf Sarah Szeidels Klingel war in der Tat von Wind und
Wetter etwas blass geworden. Für normale Augen immer noch gut zu lesen, für die
Augen einer Achtzigjährigen eine Herausforderung.
    Fremde Post war in Frau Weinerts’ Briefkasten gelandet, und sie hatte
sich aufgemacht, den Irrläufer dem eigentlichen Adressaten zukommen zu lassen.
Eine freundliche Geste.
    Als sie auffällig lange vor den Briefkästen gestanden und dann etwas
bei Sarah Szeidel eingeworfen hatte, hatten die Kollegen Alarm geschlagen.
    Maria zog die Plastikhandschuhe über und hob den Brief mit spitzen
Fingern hoch. Der Umschlag war an einer Stelle etwas verdickt.
    Vorsichtig fuhr sie mit dem Finger unter der Lasche auf der
Rückseite entlang. Sie konnte sich denken, was darin war.
    Ein weiteres Gedicht für Sarah Szeidel. Wahrscheinlich war es wie
eine Sucht für diesen Menschen, er konnte es einfach nicht sein lassen. Er
musste sich produzieren und dafür sorgen, dass alle Welt sich mit seinen
lyrischen Spinnereien beschäftigte.
    Sie zog das Papier heraus und faltete es vorsichtig auseinander.
    Etwas fiel herunter, landete mit einem hellen metallischen Geräusch
auf der Tischplatte. Ein Gegenstand, klein, rund und kupferfarben und so
glänzend, dass man denken konnte, er sei sorgfältig poliert oder eben erst
frisch aus der Presse gekommen: Es war ein Eincentstück.
    Auf dem Blatt stand nichts, keine einzige Zeile.
    »Haben Sie den Brief geöffnet?«
    Frau Weinerts hatte interessiert zugesehen. »Nein, bestimmt nicht.«
    »Nicht einmal reingeschaut? Vielleicht war ja noch ein anderes Blatt
darin, eins mit Versen drauf? Ein paar Zeilen, ein Gedicht?«
    Die alte Frau stutzte. Neugierig hob sie den Kopf und sah dabei ein
klein wenig aus wie eine Schildkröte, die, angelockt vom frischen Salatblatt,
den Kopf aus dem Panzer reckt.
    »Deshalb sind Sie hier! Das hat etwas mit diesem Kerl zu tun, nicht?
Ist der Brief von ihm? Von diesem Dichter, der das Mädchen umgebracht hat?«
    »Frau Weinerts, bitte beantworten Sie einfach meine Frage. War noch
etwas anderes in dem Umschlag?«
    »Woher soll ich das wissen? Ich mache keine fremde Post auf!«
    Maria konnte den Blick nicht von der Münze wenden.
    »Ich habe ihn genau so hergebracht, wie er in meinem Briefkasten
war.« Frau Weinerts klang ein wenig empört. »Ich bin ein ehrlicher Mensch, da
wird Ihnen auch niemand etwas anderes erzählen.«
    »Sie haben nicht zufällig gesehen, wer den Brief bei Ihnen
eingeworfen hat?«
    »Bestimmt der Briefträger. Das passiert manchmal, dass etwas aus
Versehen falsch eingesteckt wird.«
    »Auf dem Umschlag ist aber keine Briefmarke.«
    »Ach. Wirklich?«
    »Das Haus, in dem Sie wohnen, sieht man das von hier aus?«
    Umständlich erklärte Frau Weinerts, wo sie wohnte. Ihr Haus lag nur
einige hundert Meter entfernt, aber doch so weit, dass man zwei Mal um die Ecke
gehen musste. Und weit genug, um nicht von jemandem gesehen zu werden, der
Sarah Szeidels Wohnung überwachte.
    »Haben Sie etwas Auffälliges bemerkt? War jemand an Ihrem
Briefkasten, außer dem Briefträger?«
    Frau Weinerts dachte so angestrengt nach, dass ihr Gesicht nur noch
aus Falten zu bestehen schien.
    »Ich konnte nicht mehr schlafen, und dann hat etwas geklappert
draußen. Da war es noch nicht ganz hell.«
    »Letzte Nacht?«
    Frau Weinerts zögerte. »Oder die davor.«
    »Aber Sie haben jemanden gesehen?«
    Die alte Dame nickte.
    »Ich habe rausgeschaut, da ging jemand die Straße lang.«
    »Und wie sah dieser Jemand aus?«
    »Dunkel.«
    »Groß? Klein?«
    »Dunkel«, wiederholte Frau Weinerts. »Ich habe nicht viel gesehen.
Nur dass da einer ging. Ganz schnell, als hätte er es furchtbar eilig.«
    Frau Weinerts zeigte auf den Umschlag.
    »Dieser Frauenmörder hat das bei mir eingeworfen. Der weiß, wo ich
wohne.«
    »Aber der Brief war nicht für Sie«, versuchte Maria zu beruhigen.
»Er war für Frau Szeidel. Das steht ja auch drauf.«
    »Und wenn er doch für mich ist? Vielleicht denkt der, ich heiße
Szeidel.«
    Die alte Dame wurde ganz weiß um den Mund.
    »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Der Brief war bestimmt
nicht für Sie, und der, der ihn geschrieben hat, weiß, wer Frau Szeidel ist.«
    »Sind Sie sich da sicher?«
    »Ganz sicher.«
    Maria versuchte noch etwas über die Gestalt zu erfahren, die Frau
Weinerts in der Nacht gesehen

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