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Kurpfalzblues

Titel: Kurpfalzblues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Bach
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allerdings nicht mehr, war
abgebogen, wo sie hätte geradeaus laufen müssen, war hierhin und dorthin
gegangen und schließlich am Gemeindehaus gelandet.
    Die Schaukel war frei, Julie nutzte die Gunst der Stunde. Bis sie
einen Lautsprecherwagen hörte, über den mit elektronisch verzerrter Stimme
verkündet wurde, dass die kleine Julie Szeidel vermisst werde.
    In diesem Moment hatte auch sie verstanden, dass ihr Ausflug weder
Oma noch Mutter erfreuen würde, und hatte getan, was Kinder in solchen
Situationen tun: Sie hatte sich aus Angst vor dem, was sie erwarten könnte,
versteckt.
    Maria löste ihr Versprechen ein.
    Sarah Szeidel saß schon im Stuhl und wartete, als sie in der Klinik
die Tür zu ihrem Zimmer öffneten. Julie rannte sofort los und fiel ihrer Mutter
um den Hals. Die weinte so sehr, dass Julie sich irgendwann mit ängstlichem
Blick zu Maria umdrehte. Das war wahrscheinlich schlimmer für sie, als wenn
ihre Mutter geschimpft hätte.
    »Sie freut sich nur«, flüsterte Maria.
    Aber es war mehr als Freude. Sarah Szeidel weinte sich ihre ganze
Verzweiflung von der Seele, die Angst um ihr Kind, die sie in den letzten
Stunden halb umgebracht hatte.
    »Ich will weg aus Heidelberg. Bringen Sie uns weg von hier«, flehte
sie und drückte Julie an sich. »Irgendwohin, wo wir vor ihm in Sicherheit sind.
Bitte!«
    Es war nichts passiert, zumindest nicht das, was alle befürchtet
hatten. Julie war weggelaufen, schlimm genug, aber keine Katastrophe. Und doch
hatte Sarah Szeidel die letzten Stunden in der Hölle verbracht.
    Hades hatte nichts dafür tun müssen. Genau wie bei Hans Martinsen,
der die tote Lea Rinkner gefunden hatte, den die Bilder von Wasserleichen mit
Schlangenhaaren nicht mehr schlafen ließen.
    Menschen, die Hades in die Verzweiflung trieb, die vor Angst fast
umkamen, die kein normales Leben mehr führen konnten.
    Und als Maria sah, wie Sarah Szeidel ihr Kind umklammerte, es so an
sich presste, dass die kleine Julie anfing, sich zu winden, wusste sie, dass
das Elend erst dann aufhören würde, wenn sie Hades zur Strecke gebracht hatte.
    »Wir werden einen sicheren Ort für Sie finden«, versprach sie. »Ganz
bestimmt.«
    Er wusste etwas. Und er wusste mehr als sie.
    Es war wie ein Stachel, lang und sehr spitz, der sich langsam in ihr
Fleisch bohrte.
    Auf der Rückfahrt zur Polizeidirektion hatte Maria nur an eines
denken können: Alsberger, wie er hinter seinem Schreibtisch saß, felsenfest
davon überzeugt, dass Julie Szeidel wiederauftauchen würde.
    Roland Alsberger, das Orakel von Heidelberg.
    Er hatte die ganze Zeit auf seinem Wissen gesessen, hatte es für
sich behalten, wahrscheinlich um im entscheidenden Moment zu triumphieren. Um
Ferver klarzumachen, dass er den Fall
gelöst hatte, während seine dumme Vorgesetzte noch im Dunkeln tappte.
    Vom Parkplatz hoch in die Abteilung lief Maria so schnell, dass sie
völlig außer Atem oben ankam. Ohne anzuklopfen riss sie die Tür zu Alsbergers
Büro auf.
    »Woher wussten Sie das?«
    Alsberger schien verblüfft.
    Natürlich war ihm klar, worum es ging. Alle hier waren längst
informiert, dass Julie Szeidel gefunden worden war. Aber ihr allwissender
Assistent wollte sich anscheinend noch etwas bitten lassen.
    »Das mit dem Kind. Dass sie wieder auftaucht. Warum waren Sie sich
da so sicher?«
    »Weil ich nachgedacht habe«, sagte Alsberger und sah wieder ganz so
aus wie der Lottokönig persönlich.
    »Oh, der Herr hat nachgedacht! Na, da kommt doch Freude auf. Wie
wäre es denn, wenn Sie mir Ihre Gedanken einmal mitteilen würden? Natürlich
nur, wenn es Ihnen gerade passt. Ich komme sonst gern auch ein andermal
wieder.«
    Sie schauten sich an wie zwei Kampfhähne.
    »Nun spucken Sie es schon aus!«
    Alsberger wartete noch einen kleinen Moment – Maria vermutete,
einzig und allein, um sie noch ein bisschen auf die Folter zu spannen.
    »Es ist doch so«, begann er. »Wir haben einen Mord. Nur einen. Und
vier Briefe. Einen, der kurz vor Lea Rinkners Tod in ihren Briefkasten gesteckt
wurde. Einen, der unmittelbar nach oder vor ihrem Tod an den Radiosender ging
und durch den der Mörder Lea Rinkners sich der Öffentlichkeit vorstellt: ein
Irrer, der gerne dichtet, Bräute sammelt und weitermorden wird. Deshalb
schreibt er schon mal ›Erster Akt‹ obendrüber.«
    »Das ist jetzt nicht so besonders neu, oder? Ist Ihnen beim
Nachdenken vielleicht noch etwas anderes eingefallen?«
    »Allerdings.« Er lächelte, etwas überheblich, wie Maria fand.

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