Kurs auf Spaniens Kueste

Titel: Kurs auf Spaniens Kueste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick O'Brian

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divergierenden Kursen wurde das Ziel jede Minute kleiner, und Jacks Hoffnungen schwanden dahin.
    Acht Salven später ließ er das Feuer einstellen. Die Gloire hatte tüchtig Prügel einstecken müssen und ihr hübsches Äußeres verloren, aber die Sophies hatten ihr Rigg nicht so stark beschädigen können, daß sie manövrierunfähig wurde; keine wichtige Spiere, kein entscheidender Mast war weggeschossen. Und trotz allem hatte Jack den Franzosen nicht dazu bewegen können, daß er umkehrte und die Sache Rahnock an Rahnock mit ihm ausfocht. Nach einem letzten Blick auf den enteilenden Freibeuter kam er zu einem Entschluß.
    »Wir nehmen wieder Kurs aufs Kap, Mr. Marshall. Steuern Sie Südsüdwest.«
    Die Sophie war erstaunlich wenig beschädigt. »Haben Sie irgendwelche Reparaturen, die keine halbe Stunde warten können?« fragte Jack, zerstreut eine lose Schlappgording an einem Nagel belegend.
    »Nein, Sir. Der Segelmacher wird zwar eine Weile ziemlich viel zu tun haben, aber die Gloire hat ja weder mit Ketten- noch mit Stangenkugeln geschossen und deshalb in unserem Rigg wenig Schaden angerichtet. Mangel an Übung, Sir, eindeutig Mangel an Übung. Nicht wie neulich dieser gemeine kleine Türke, der hat uns ’ne viel härtere Nuß zu knacken gegeben.«
    »Dann lassen wir jetzt die Besatzung zum Frühstück gehen und verschieben das Knoten und Spleißen auf später. Mr. Lamb, Ihr Schadensbericht?«
    »Kein Treffer unterhalb der Wasserlinie, Sir. Vier ganz scheußliche Löcher mittschiffs, und die Stückpforten Nummer zwei und vier sind zu einer einzigen großen zerschossen: Das ist der schlimmste Schaden. Aber nichts im Vergleich zu dem, was sie von uns hat einstecken müssen. Die Hure.« Letzteres nur in den Bart gemurmelt.
    Jack ging nach vorne, wo die Kanone umgestürzt war. Eine Kugel der Gloire hatte die Bordwand mit den Ringbolzen für die Rückholtalje gerade in dem Moment zerfetzt, als die vierte Kanone im Rückstoß war. Nur einseitig festgelascht, war sie herumgeschleudert worden und hatte ihre ausgefahrene Nachbarin umgerissen. Durch unglaubliches Glück hatten die beiden Männer, die dabei eigentlich hätten zerquetscht werden müssen, zufällig woanders gestanden — der eine hatte sich im Löscheimer Blut vom zerkratzten Gesicht gewaschen, der andere eine neue Lunte geholt —, und das gleiche sagenhafte Glück hatte irgendwie bewirkt, daß die Kanone nicht wie ein mörderischer Rammbock übers ganze Deck gerutscht, sondern nur seitlich umgekippt war.
    »Tja, Mr. Day«, sagte Jack, »da haben wir wenigstens in einer Hinsicht Glück gehabt. Lascht die Kanone im Vorschiff provisorisch fest, bis Mr. Lamb neue Ringbolzen angebracht hat.«
    Bei der Rückkehr aufs Achterschiff riß er sich den Rock vom Leibe — die Hitze schien ihm plötzlich unerträglich — und ließ den Blick prüfend über den südwestlichen Horizont wandern. Keine Spur von Kap Náo, kein einziges Segel, nur Dunst. Er hatte gar nicht bemerkt, daß die Sonne aufgegangen war, und nun stand sie schon recht hoch — sie mußten eine längere Strecke zurückgelegt haben als gedacht. »Mein Gott, jetzt könnte ich einen Kaffee gebrauchen«, sagte er, abrupt in eine Gegenwart zurückkehrend, in der die Zeit wieder normal ablief und Hunger eine Rolle spielte. »Aber trotzdem muß ich zuerst hinunter.« Dies war die häßliche Seite: der Anblick der Opfer.
    »Captain Aubrey«, sagte Stephen und klappte sogleich sein Buch zu, als er Jack ins Lazarett kommen sah, »ich muß mich ernsthaft beschweren.«
    »Tut mir leid, das zu hören.« Aufs Schlimmste gefaßt, blickte Jack sich im Halbdunkel um.
    »Sie waren an meiner Viper. Ich sage Ihnen, Sir, sie waren an meiner Viper! Keine drei Minuten ist es her, da ging ich in meine Kammer, um ein Buch zu holen, und was mußte ich sehen? Meine Viper auf dem Trockenen — auf dem Trockenen , sage ich Ihnen!«
    »Berichten Sie mir zuerst über unsere Verluste. Dann kümmere ich mich um Ihre Viper.«
    »Pah — ein paar Kratzer, ein Mann mit verletztem Unterarm, ein paar Splitter zu ziehen — nichts Ernstes, lediglich Verbände anzulegen. Im Lazarett liegen nur ein hartnäckiger Tripper mit leichtem Fieber und ein zurückgedrückter Leistenbruch; und natürlicher dieser Unterarm. Aber nun zu meiner Viper ...«
    »Keine Toten, keine Schwerverwundeten?« rief Jack, dem ein Stein vom Herzen fiel.
    »Nein, nein. Jetzt zu meiner Viper.« Stephen hatte die Giftschlange, in Spiritus konserviert, an Bord gebracht.