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Kurs auf Spaniens Kueste

Kurs auf Spaniens Kueste

Titel: Kurs auf Spaniens Kueste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick O'Brian
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ihn tief getroffen.
    »Dr. Maturin, ich bin so froh, daß Sie kommen konnten!« rief Mrs. Harte aus und wandte sich zur Tür. »Ich werde Sie nachher mit einer sehr gelehrten Dame bekannt machen.«
    »Tatsächlich, Madam? Das freut mich sehr. Sagen Sie bitte, worin ist sie gelehrt?«
    »Oh, in allem«, antwortete Mrs. Harte unbeschwert.
    Und dies schien auch Laetitias eigene Ansicht von sich selbst zu sein, denn sie legte Stephen sogleich ihren Standpunkt zur Behandlung von Krebs und dem Verhalten der Alliierten dar — Gebet, Liebe und die Heilige Schrift seien in beiden Fällen die beste Therapie. Mrs. Ellis war ein seltsam puppenhaftes kleines Wesen mit starrem Gesicht, zugleich schüchtern und ungemein selbstgerecht, außerdem überraschend jung. Sie sprach langsam, begleitet von eigenartigen Verdrehungen ihres Oberkörpers, und starrte dabei die Brust oder den Ellbogen ihres Gesprächspartners an, weshalb ihre Ausführungen einige Zeit in Anspruch nahmen. Ihr Ehemann, hochgewachsen, mit feucht schimmernden Augen und schwitzenden Handflächen, hatte X-Beine und das fromme Gesicht eines Evangelisten. Ohne die X-Beine hätte man ihn für einen Butler halten können. Wenn dieser Mann noch lange lebt, sinnierte Stephen, während Laetitia weiterschwatzte, jetzt über Plato, dann wird er ein Geizhals. Aber wahrscheinlich hängt er sich vorher auf. Verstopfung, Hämorrhoiden, Plattfüße.
    Sie saßen zu zehnt am Tisch, und Stephen hatte Mrs. Ellis zu seiner Linken. Rechts von ihm saß Miß Wade, ein nichtssagendes, fröhliches Mädchen mit gesundem Appetit, den sie sich auch durch die neueste Mode und die Hitze des schwülen Abends nicht verderben ließ. Danach kamen Jack und Mrs. Harte, die Oberst Pitt zu ihrer Rechten hatte.
    Stephen unterhielt sich eifrig mit Miß Wade über die jeweiligen Vorzüge und Unterscheidungsmerkmale von Krebsen beziehungsweise Hummern, als sich die aufdringliche Stimme zu seiner Linken so laut einmischte, daß er sie unmöglich noch länger ignorieren konnte.
    »Aber ich verstehe nicht — Sie sind doch ein richtiger Internist, hat man mir erzählt. Wie kommt es dann, daß Sie bei der Marine sind? Wieso dienen Sie in der Marine, obwohl Sie ein guter Doktor sind?«
    »Bedürftigkeit, Madam, Bedürftigkeit. Mit Klistieren läßt sich nun mal kein Vermögen verdienen. Und dann natürlich das brennende Verlangen, mein Blut fürs Vaterland hinzugeben.«
    »Der Herr beliebt zu scherzen, meine Liebe«, warf Mr. Ellis ein, der ihnen gegenübersaß. »Bei so vielen Prisen ist er ein gemachter Mann, wie wir in der City zu sagen pflegen.« Er nickte Stephen weise zu und lächelte verschwörerisch.
    »Oh«, rief Laetitia erschrocken aus, »er ist ein Spaßvogel. Da muß ich mich in acht nehmen! Aber trotzdem, Dr. Maturin, Sie müssen an Bord ja auch die gemeinen Matrosen behandeln, nicht nur die Offiziere. Wie entsetzlich für Sie!«
    »Halb so schlimm, Madam.« Stephen musterte sie neugierig, denn für eine so kleine und fromme Frau hatte sie eine Menge Wein getrunken, und auf ihrem Gesicht begannen jetzt rote Flecken zu glühen. »Mit solchen Patienten mache ich kurzen Prozeß. Rizinusöl heißt gewöhnlich meine Rezeptur.«
    »Ganz recht.« Oberst Pitt ergriff zum ersten Mal das Wort. »Auch ich dulde keine Simulanten.«
    »Dr. Maturin ist bewundernswert streng«, steuerte Jack bei. »Oft verlangt er von mir, daß ich die Leute auspeitschen lasse, weil das gegen ihre Lethargie hilft und sie gleichzeitig zur Ader läßt. Hundert Hiebe an der Gangway sind die beste Kur, pflegen wir zu sagen.«
    »Vorbildliche Disziplin.« Mr. Ellis nickte eifrig.
    Stephen fühlte eine ungewohnte Kälte auf den Oberschenkeln, die ihm anzeigte, daß seine Serviette zu Boden gerutscht war. Er bückte sich danach und zählte unten in dem weißen Damastzelt vierundzwanzig Beine: Sechs gehörten dem Tisch und achtzehn seinen Tischgenossen. Miß Wade hatte ihre Schuhe abgestreift, die Frau ihm gegenüber hatte ein kleines, zusammengeknülltes Taschentuch fallen gelassen; Oberst Pitts blankgewichster Stiefel preßte sich auf Mrs. Hartes rechten Fuß, und auf ihrem linken — ziemlich weit entfernt vom anderen — ruhte Jacks fast ebenso großer Schnallenschuh.
    Gang folgte auf Gang — reizlose spanische Gerichte, weil auf englische Weise in Wasser gekocht, dazu mittelmäßiger, mit einheimischem Traubensaft gestreckter Wein —, und dann hörte Stephen seine Nachbarin sagen: »Wie ich erfuhr, ist das moralische Niveau auf

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