Kurs auf Spaniens Kueste
kennenlernen.«
Kniend, die Augen in Höhe der Tischplatte, beobachtete Stephen, wie die männliche Gottesanbeterin vorsichtig auf das Weibchen zukroch. Sie war ein schönes, kräftiges Exemplar, leuchtend grün, und stand stramm auf ihren vier Hinterbeinen, die beiden Vorderbeine devot hängenlassend. Von Zeit zu Zeit lief ein oszillierendes Zittern über ihren schweren Körper, dann zuckte das braune Männchen jedesmal zurück. Es schlich sich von der Seite her an, parallel zur Tischkante, die langen, gezahnten, räuberischen Vorderbeine anbiedernd ausgestreckt und die Fühler aufmerksam nach vorn gerichtet; selbst bei diesem grellen Licht konnte Stephen das seltsame innere Glühen seiner großen, ovalen Augen erkennen.
Das Weibchen drehte langsam den Kopf um fünfundvierzig Grad, als wollte es ihn betrachten. Ist dies Anerkennung? fragte sich Stephen und hob sein Vergrößerungsglas, damit ihm keine Bewegung ihrer Fühler entging. Einwilligung?
Das braune Männchen hielt es jedenfalls dafür und war mit drei Sprüngen über ihr. Seine Beine umklammerten ihre Flügeldecken, seine Fühler suchten die ihren und begannen sie zu streicheln. Bis auf ein kurzes Vibrieren unter dem ungewohnten Gewicht ließ sich das Weibchen keine Reaktion, keinen Widerstand anmerken. Und nach einer Weile begann die heftige, für Geradflügler typische Begattung. Stephen stellte seine Uhr und notierte die Zeit in einem Buch auf dem Fußboden.
Mehrere Minuten vergingen. Das Männchen veränderte etwas seine Stellung, das Weibchen drehte den dreieckigen Kopf leicht von links nach rechts. Im Glas konnte Stephen erkennen, wie sich ihre seitlichen Beißzangen öffneten und schlossen. Dann kam ein Wirbel von Bewegungen, so blitzschnell, daß er ihnen trotz seiner gespannten Aufmerksamkeit nicht folgen konnte, und dem Männchen wurde der Kopf abgerissen; wie eine winzige Limone klemmte sie ihn unter ihren grünen Gebetsarm. Sie biß hinein, und das Glühen erlosch. Auf ihrem Rücken kopulierte das enthauptete Männchen weiter, jetzt noch heftiger als zuvor, weil der Sitz seiner Hemmungen beseitigt war. »Ah«, machte Stephen zutiefst befriedigt und notierte abermals die Zeit.
Zehn Minuten später riß das Weibchen den langen Brustteil des Männchens in drei Stücke und fraß sie mit bestem Appetit auf, Chitinkrümel unter sich streuend. Das Hinterteil des Männchens kopulierte weiter, fest verankert dank seiner Hinterbeine.
»Da sind Sie ja!« rief Jack. »Ich warte schon eine Viertelstunde auf Sie.«
»Oh«, sagte Stephen und richtete sich auf. »Vergeben Sie mir. Ich weiß, wie wichtig Ihnen Pünktlichkeit ist, deshalb bitte ich inständig um Vergebung. Aber ich mußte meine Uhr zurückstellen, als die Begattung begann.« Langsam und vorsichtig stülpte er eine durchlöcherte Schachtel über die Gottesanbeterin und ihre Mahlzeit. »Bin schon fertig.«
»Nein, das sind Sie nicht. Nicht in diesen infernalischen Halbstiefeln. Warum nur lassen Sie die mit Blei besohlen?«
Zu jeder anderen Zeit hätte er darauf eine äußerst scharfe Antwort erhalten, aber Stephen war klar, daß Jacks Vormittag beim Admiral unangenehm verlaufen sein mußte. Deshalb sagte er lediglich, während er andere Schuhe anzog: »Wußten Sie, daß es keinen Kopf braucht und nicht mal ein Herz, um alles zu sein, was ein Weibchen verlangt?«
»Dabei fällt mir ein«, sagte Jack, »haben Sie irgend etwas, mit dem ich meine neue Perücke befestigen könnte? Mir ist eine blamable Sache passiert, als ich den Platz überquerte. Auf der anderen Seite ging Dillon mit einer Frau am Arm — Gouverneur Walls Schwester, glaube ich —, deshalb erwiderte ich seinen Gruß besonders höflich, und als ich den Hut zog, ging die vermaledeite Perücke mit ab. Darüber können Sie leicht lachen, und es ist ja auch verdammt lächerlich, aber ich hätte fünfzig Pfund dafür gegeben, wenn ich mich gerade vor ihm nicht so blamiert hätte.«
»Hier ist ein Stück Heftpflaster«, sagte Stephen. »Das falten wir jetzt und kleben es Ihnen auf den Kopf. Es tut mir aufrichtig leid, daß zwischen Ihnen und Dillon diese — diese Mißstimmung entstanden ist.«
»Mir auch.« Jack bückte sich, damit Stephen das Pflaster aufdrücken konnte. Und dann setzte er in einem Anfall von Vertraulichkeit (sie waren an Land, in fremder Umgebung, die Marinehierarchie spielte hier keine große Rolle) hinzu: »In meinem ganzen Leben war ich noch nie so um guten Rat verlegen wie jetzt. Er hat mich praktisch der
Weitere Kostenlose Bücher