Kurs auf Spaniens Kueste
Bauern dort riefen einander etwas zu, über ihre Felder hinweg. Es ging dabei um uns. Ich will Ihnen das Gespräch wörtlich wiedergeben. Erster Bauer: ›Siehst du diese Ketzer so frech über unser Land spazieren? Der Rothaarige stammt bestimmt von Judas Ischariot ab.‹ Zweiter Bauer: ›Wenn Engländer in der Nähe sind, werfen die Mutterschafe tote Lämmer. Es ist immer dasselbe. Mögen ihre Gedärme verfaulen! Wo wollen die bloß hin? Und wo kommen sie her?‹ Erster Bauer: ›Die wollen sich die navetta anschauen und die taula d’en Xatart. Und sie kommen von dem übermalten Zweimaster, der vor Bep Venturas Lagerhaus liegt. Früh am Dienstag morgen laufen sie aus und kreuzen sechs Wochen vor dem Festland, von Castellon bis hinauf zum Kap Creus. Sie haben mir nur vier Dollars pro Schwein bezahlt. Ja, ihre Gedärme sollen verfaulen.«
»Sehr originell war er nicht, Ihr zweiter Bauer«, meinte Jack nachdenklich. »Aber hier scheint man uns Engländer wirklich nicht besonders zu lieben. Dabei haben wir sie in den letzten hundert Jahren fast ununterbrochen beschützt, müssen Sie wissen.«
»Erstaunlich, nicht wahr?« sagte Stephen Maturin. »Aber ich wollte damit vor allem andeuten, daß unser Erscheinen vor dem spanischen Festland vielleicht nicht ganz so unerwartet kommt, wie Sie glauben. Die Fischer und Schmuggler unterhalten einen regen Handelsverkehr mit Mallorca. Der Tisch des spanischen Gouverneurs ist reich gedeckt mit unseren Fornell-Krebsen, unserer Xambo-Butter und mit Käse aus Mahón.«
»Sicher. Ich hatte Sie schon richtig verstanden und bin sehr dankbar für Ihre aufmerksame ...«
Vom grauen Kliff an Steuerbord querab schwebte ein dunkler Schatten über sie hinweg, mit enormer Spannweite und spitzen Flügeln: unheilverkündend wie die Schicksalsgöttin. Stephen grunzte animalisch, riß Jack das Teleskop aus der Achselhöhle, stieß ihn beiseite und hockte sich vor die Reling, das Glas auf den Handlauf gestützt und fieberhaft fokussierend.
»Ein Bartgeier!« rief er begeistert. »Das ist ein Bartgeier! Noch dazu ein junger«
»Na ja«, sagte Jack sofort und ohne sich eine Sekunde besinnen zu müssen, »vielleicht hat er heute morgen nur vergessen, sich zu rasieren.« Sein rotes Gesicht legte sich in tausend Lachfalten, die blauen Augen wurden zu funkelnden Schlitzen, er krümmte sich wie im Krampf und schlug sich in einem Anfall höchster Belustigung so knallend auf die Schenkel, daß der Rudergänger trotz strengster Disziplin angesteckt wurde und ein ersticktes »Hu-hu-hu« hören ließ, das aber vom Quartermaster sofort unterbunden wurde.
»Manchmal«, sagte James leise, »manchmal kann ich verstehen, daß Sie Ihren Freund so sehr mögen. Er bezieht größeres Vergnügen aus einem schwächeren Geistesblitz als jeder andere, den ich kenne.«
Der Master hatte die Wache; der Zahlmeister stritt weiter vorn mit dem Bootsmann über seine Rechnungen. Jack saß in der Achterkajüte, immer noch glänzend gelaunt, und entwarf in einem Winkel seines Hirns eine neue Verkleidung für die Sophie , in einem anderen genoß er die Vorfreude auf sein abendliches Rendezvous mit Molly Harte. Wie überrascht, wie entzückt würde sie sein, ihn in Ciudadela zu sehen! Welches Glück erwartete sie beide! Stephen und James spielten Schach in der Offiziersmesse. James' wütender Angriff, für den er einen Läufer, einen Turm und zwei Springer geopfert hatte, näherte sich seinem fehlgeleiteten Höhepunkt, und während ihres langen, friedlichen Schweigens hatte Stephen sich gefragt, wie er es vermeiden konnte, ihn in drei oder vier Zügen matt zu setzen, ohne ihn allzusehr zu beschämen. Er beschloß, sich mit dem Ziehen so lange Zeit zu lassen (James nahm Niederlagen entsetzlich schwer), bis die Trommel den Zapfenstreich schlug; in der Zwischenzeit wedelte er nachdenklich mit seiner Königin in der Luft herum, ein Liedchen summend.
»Mir scheint«, James' Worte fielen schwer in die Stille, »mir scheint, uns droht der Frieden.« Stephen spitzte die Lippen und kniff ein Auge zu. Auch er hatte in Mahón Gerüchte über einen bevorstehenden Friedensschluß gehört. »Deshalb bete ich zu Gott, daß wir noch ein anständiges Gefecht erleben, ehe es zu spät ist. Ich bin schon sehr gespannt darauf, wie Sie es aufnehmen werden. Die meisten Männer stellen fest, daß ein Gefecht ganz anders ist, als sie erwartet haben — wie die erste Liebe. Eher enttäuschend, und doch kann man’s gar nicht abwarten, das nächste zu
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