Kurs auf Spaniens Kueste
konnte.
Diese vermaledeite Großrah ist zu dünn, dachte er. Und ob ich wohl ein Paar Zwölfpfünder als Jagdkanonen auftreiben kann? Bestimmt. Aber würden die Planken das Gewicht aushalten? Wie dem auch sei, der längliche Karton läßt sich bestimmt ein bißchen martialischer ausstaffieren, damit er einem echten Kriegsschiff ähnlicher wird.
Während Jacks Kopf arbeitete, wurde es in seiner Kajüte langsam heller. Ein Fischerboot glitt unter Sophies Heck vorbei, beladen mit frischem Thunfisch, was es durch den hohlen Ton einer Conchmuschel verkündete. Wie auf Kommando hopste die Sonne über die Zinnen des St.-Philips-Forts — sie hopste tatsächlich, so plötzlich trennte sich ihr unterer Rand vom Land; der Morgendunst verzerrte sie zu einer gelben Ellipse, die an eine liegende Zitrone erinnerte. Binnen einer Minute wichen die Schatten der Nacht aus Jacks Kajüte, und über die Deckenbalken tanzten die Lichtreflexe der leicht bewegten See. Ein einzelner Sonnenstrahl, reflektiert von irgendeiner starren Oberfläche auf dem fernen Kai, stach durch ein Kajütfenster und strahlte Jacks Uniformrock mit der funkelnden Epaulette an. Da ging auch hinter seiner Stirn die Sonne auf und zauberte ein breites Grinsen auf sein düsteres Gesicht; er sprang mit einem Satz aus der Koje.
Die Strahlen der aufgehenden Sonne erreichten Dr. Maturin zehn Minuten früher als Jack, denn sein Platz lag um einiges höher. Auch er wälzte sich unwillig herum, weil er schlecht geschlafen hatte. Aber dem blendenden Licht konnte er nicht entkommen. Er öffnete die Augen und blickte sich völlig verwirrt um. Eben noch war er in Irland gewesen, sicher, warm, glücklich und Hand in Hand mit einem Mädchen. Sein schlaftrunkenes Bewußtsein konnte nicht verarbeiten, was er vor sich sah. Immer noch spürte er die Finger der jungen Frau und roch sogar ihren Duft. Benommen tastete er umher: zerdrückte Blüten der Steinnelke, Dianthus perfragrans. Damit war der Duft eingeordnet, und die Traumfinger verschwanden. Maturins Gesicht verzerrte sich vor tiefem Leid, seine Augen wurden feucht. Die junge Frau hatte ihm unendlich viel bedeutet und war so eng mit seinem Irlandaufenthalt verknüpft ...
Auf diesen Ansturm der Gefühle, der ihn an seiner verwundbarsten Stelle traf, war er überhaupt nicht vorbereitet. Einige Minuten saß er wie betäubt da, blinzelte ins Licht und glaubte, den Schmerz nicht ertragen zu können.
»O Jesus«, murmelte er schließlich, »wieder ein Tag.« Er faßte sich etwas, als er seine eigene Stimme hörte. Steif stand er auf, klopfte sich den weißen Kalkstaub von der Hose, zog den Gehrock aus und schüttelte ihn sauber. Voller Entsetzen bemerkte er, daß ein Stück Fleisch, beim letzten Abendessen heimlich ins Taschentuch gewickelt und eingesteckt, Tuch und Rocktasche durchgefettet hatte. Wie außerordentlich seltsam, dachte er, daß mich eine solche Bagatelle aus der Fassung bringen sollte. Und doch bin ich außer mir. Er setzte sich hin und verzehrte das Hammelkotelett, während er im Geist einige Sedativa Revue passieren ließ, Beruhigungsmittel nach Paracelsus, Cardan und Rhazes. Er saß in der verfallenen Apsis der Damianskapelle hoch über Port Mahón und blickte nordwärts auf den weitläufigen, buchtenreichen Naturhafen hinab. Jenseits davon erstreckte sich die See, eine schier endlose Fläche wechselnder Blautöne, mit wandernden dunkleren Böenstrichen dazwischen. Hier oben in der Ruine hatte er schon vor einigen Tagen Zuflucht gesucht, sofort nachdem sein Vermieter anfing, unangenehm zu werden. Einen Hinauswurf hatte er gar nicht erst abgewartet, denn er war im Augenblick viel zu dünnhäutig, um Streit ertragen zu können.
Sein Blick fiel auf eine Reihe Ameisen, die mit den Krümeln seines Frühstücks davonmarschierten: Tapinoma erraticum. In zwei Kolonnen — eine hin, die andere zurück — überquerten sie die Delle seiner umgedrehten Perücke, die jetzt wie ein zerrupftes Vogelnest auf dem Boden lag und doch einst zum elegantesten Kopfschmuck gehört hatte, den man in Stephen’s Green sah. Die Ameisen hatten es eilig, mit hochgerecktem Unterleib hasteten sie voran und schubsten langsamere Artgenossen beiseite. Stephens Augen folgten dem flirrenden Strom und stießen dabei auf eine Erdkröte, die ihn beobachtete. Ihre Blicke trafen sich, und Maturin lächelte. Sie war aber auch prachtvoll, diese Kröte, bestimmt zwei Pfund schwer, mit goldglänzenden Augen. Wie konnte sie nur überleben im spärlichen,
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