Kurs auf Spaniens Kueste
brauche ich das nicht, Mr. Marshall«, antwortete Mr. Ricketts hitzig, »aber wenn Sie erst mal so lange zur See gefahren sind wie ich, mein Bester, dann werden Sie begreifen, daß ein Kommandant sehr viel mehr braucht als nur gute Seemannschaft. Jeder verdammte Janmaat kann ein Schiff durch einen Sturm bringen.« Des Zahlmeisters Ton klang geringschätzig. »Und jede Hausfrau in Hosen kann die Decks sauberhalten und die Leinen aufschießen. Aber es braucht einen hellen Kopf«, wobei er sich an den eigenen tippte, »und einen gestandenen Mann von Format, um ein Kriegsschiff zu kommandieren. Das sind Qualitäten, die man nicht in jedem neuen Besen findet. Und schon gar nicht in jedem jungen Klugscheißer«, fügte er, mehr für sich selbst, hinzu. »Nein, nein, ich weiß nicht ... Man muß abwarten.«
VIERTES KAPITEL
DIE TROMMEL SCHLUG ihre dumpfen Wirbel am Niedergang der Sophie . Ihr drängendes Grollen wurde fast übertönt vom polternden Getrappel der Männer, die in wirrer Hast an Deck stürzten. Doch die Gesichter verrieten, abgesehen von den verzweifelten Mienen der Neulinge, keinerlei Unruhe. Schließlich war dieser Ruf zum Gefecht nur Exerzieren, ein nachmittägliches Ritual, das die alten Hasen schon zwei- oder dreitausendmal geübt hatten. Jeder rannte auf seine Gefechtsstation, der eine bei der ihm anvertrauten Kanone, der andere bei seinem Belegnagel mit aufgeschossener Leine; die nächsten Handgriffe kannten alle auswendig.
Dennoch hätte niemand den Verlauf der Übung sonderlich beeindruckend nennen können, dazu hatte sich Sophies eingespielte Routine zu stark verändert. Die einzelnen Stückmannschaften waren neu zusammengestellt worden; Dutzende nervöser, orientierungsloser Landlubber mußten wie Schafe auf ihre Plätze geschoben oder gezogen werden; und weil die meisten einstweilen nur dazu taugten, unter Aufsicht irgendeine Last zu bewegen, war die Kuhl so überfüllt, daß die Männer einander auf die Füße traten.
Zehn Minuten vergingen, in denen die Besatzung an Oberdeck und auf den Marsen vor Ungeduld kochte. Hinter dem Ruderrad stand Jack und sah gelassen zu, während Dillon Befehle bellte und Deckoffiziere, Fähnriche und Kadetten wütend durcheinander wieselten, den Blick des Kommandanten im Nacken und verunsichert, weil sie mit ihrer Nervosität alles nur verschlimmerten. Jack hatte ein Tohuwabohu erwartet, aber kein derartiges Chaos. Dennoch behielten seine angeborene Leutseligkeit und sein Entzücken über die — wenn auch unbeholfenen — ersten Regungen der ihm anvertrauten Kampfmaschine die Oberhand über seine berechtigte Empörung.
»Warum machen sie das?« fragte der ahnungslose Stephen neben seinem Ellbogen. »Warum rennen sie so ernsthaft herum?«
»Der Sinn des Ganzen ist, daß jeder Mann genau weiß, wohin er bei Alarm zu gehen hat — im Ernstfall«, antwortete Jack. »Es wäre fatal, wenn sie dann herumstehen und erst überlegen würden. Die Stückmannschaften, sehen Sie dort, sind schon bei ihren Kanonen. Und hier sind Sergeant Quinns Seesoldaten angetreten. Soweit ich sehen kann, ist auch die Vordeckscrew schon vollzählig auf ihren Plätzen, und die Männer in der Kuhl werden es hoffentlich bald sein. Jede Kanone hat ihren Stückführer, mit je einem Mann fürs Auswischen und Entern neben sich. Letztere sind diejenigen mit dem Entermesser im Gürtel, sie schließen sich im Ernstfall der Entermannschaft an. Dazu kommt noch ein Segeltrimmer, der die Kanone verläßt, wenn wir im Gefecht die Rahen umbrassen müssen. Und zuletzt je ein Mann des Löschtrupps, dessen Aufgabe die Feuerbekämpfung ist. Sehen Sie, jetzt meldet Pullings seine Abteilung gefechtsklar an Dillon. Lange sollte es nicht mehr dauern.«
Auch auf dem kleinen Achterdeck war das Gedränge groß. Da standen der Segelmeister am Kompaßhaus, der Quartermaster am Ruder, der Marinesergeant und seine Bewaffneten, der Signalgast, die Kanoniere, James Dillon, der Schreiber und noch einige andere — aber Jack und Stephen gingen auf und ab, als seien sie allein. Jener war isoliert durch die olympische Majestät des Kommandanten, dieser in seine Aura eingesponnen. Für Jack war der Gefechtszustand etwas Natürliches, er kannte ihn seit seiner Kindheit, aber Stephen wurde zum erstenmal damit konfrontiert, was in ihm ein nicht ganz unangenehmes Gefühl der Todesnähe auslöste. Ihm schienen entweder die lauernden, konzentrierten Männer jenseits der unsichtbaren Glaswand tot zu sein, vielleicht auch bloße
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