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Kurs auf Spaniens Kueste

Kurs auf Spaniens Kueste

Titel: Kurs auf Spaniens Kueste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick O'Brian
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Ausgeburten seiner Phantasie — oder er selbst war es. Aber falls letzteres zutraf, mußte es ein seltsam halber Tod sein, denn obwohl er dieses Gefühl der Absonderung, der farblosen Schattenexistenz in einer stillen, intimen Totenwelt gewohnt war, leistete ihm nun jemand dabei Gesellschaft. Hörbare Gesellschaft.
    »... Ihre Gefechtsstation zum Beispiel wäre unter Deck der Platz, den wir das Cockpit nennen — nicht daß es ein echtes Cockpit wäre, genauso wenig wie unser Foksel ein echtes Vorderkastell ist, ein vorderer Aufbau also; im Cockpit, wie gesagt, mit den zusammengeschobenen Seekisten der Kadetten als Operationstisch und Ihren ausgebreiteten Instrumenten daneben.«
    »Ist dort auch mein Logis?«
    »Nein, nein, wir werden Sie bequemer unterbringen. Auch wenn Sie auf die Kriegsartikel eingeschworen sind, werden Sie feststellen«, mit einem Lächeln, »daß wir Gelehrsamkeit zu schätzen wissen. Jedenfalls bis zu einem Ausmaß von drei Quadratmetern Privatsphäre und soviel Frischluft auf dem Achterdeck, wie Ihre Lungen fassen können.«
    Stephen nickte. »Sagen Sie«, fuhr er fort, »wenn ich unter Marinereglement stünde, könnte der Bursche dort mich auspeitschen lassen?« Mit dem Kopf deutete er auf Mr. Marshall.
    »Der Master?« rief Jack baß erstaunt.
    »Ja.« Aufmerksam, mit leicht schräg geneigtem Kopf sah Stephen ihn an.
    »Aber er ist der Segelmeister!« Wenn Stephen den Bug als Heck bezeichnet hätte oder den Flaggenknopf als Kiel, hätte Jack die Lage sofort durchschaut. Aber daß Stephen die Hierarchie an Bord durcheinanderbrachte, die Position von Kommandant und Master, von patentiertem Offizier und Unteroffizier verwechselte, das kehrte die natürliche Ordnung der Dinge so um, untergrub derart das festgefügte maritime Universum, daß sein Verstand sekundenlang streikte. Dennoch besaß Jack, obwohl als Studiosus und Analytiker des Hexameters kein sonderliches Licht, ein ziemlich schnelles Reaktionsvermögen, und nachdem er zweimal Luft geschnappt hatte, klärte er Stephen auf. »Mein Bester«, begann er, »ich glaube, die Bezeichnungen Master und Kommandant haben Sie in die Irre geführt, Sie sind auch ziemlich unlogisch, das muß ich zugeben, aber der erstere ist letzterem unterstellt. Irgendwann müssen Sie mir gestatten, Ihnen unsere Dienstgrade zu erläutern. Aber wie dem auch sei, Sie werden niemals ausgepeitscht werden, niemals. Sie bestimmt nicht«, wiederholte er und betrachtete Stephen mit einem Blick unverhohlener Zuneigung, zugleich mit einem Anflug von Ehrfurcht vor diesem fabelhaften Mirakel, dieser ahnungslosen Unschuld so gewaltigen Ausmaßes, daß selbst sein weltoffener Geist sie nicht fassen konnte.
    James Dillon durchbrach Stephens Glaswand. »Schiff ist gefechtsklar, Sir, wenn's beliebt.« Respektvoll lüftete er seinen Dreispitz.
    »Sehr schön, Mr. Dillon«, sagte Jack. »Und jetzt üben wir mit den großen Kanonen.«
    Eine Vier-Pfund-Kugel war nicht besonders schwer und konnte auch nicht auf eine halbe Meile Distanz zwei Fuß dicke Eichenplanken durchschlagen; aber sie war doch ein drei Zoll dicker, massiver Gußeisenball und legte pro Sekunde dreihundert Meter zurück; sie zu stoppen mußte eine häßliche Erfahrung sein. Und die Kanone selbst war eine formidable, sechshundert Kilo schwere Maschine mit gut zwei Meter langem Rohr, die auf einer pompösen Eichenlafette stand; nach dem Abfeuern sprang sie so heftig zurück wie ein höchst lebendiges, bockiges Untier.
    Von diesen Vierpfündern besaß die Sophie vierzehn Stück, sieben auf jeder Seite. Die beiden hintersten Kanonen auf dem Achterdeck waren aus schimmernder Bronze gegossen. Vier Mann bedienten je eines dieser Stücke, unterstützt von einem Jungen, der die Pulversäckchen aus dem Magazin herbeischleppte. Ein Fähnrich oder Mastersgehilfe kommandierte jeweils einen Batterieteil — Pullings zum Beispiel hatte die sechs vorderen, Ricketts die vier in der Kuhl und Babbington die vier achteren zu beaufsichtigen.
    »Mr. Babbington, wo ist das Pulverhorn dieser Kanone?« fragte Jack kühl.
    »Weiß nicht, Sir«, stotterte der Kadett und errötete. »Es scheint abhanden gekommen zu sein.«
    Jack winkte einem Kanonier. »Gehen Sie zu Mr. Day — nein, zu seinem Gehilfen, Mr. Day ist krank — und holen Sie ein neues Pulverhorn.«
    Bei seiner Inspektion sprangen ihm keine weiteren gravierenden Mängel ins Auge. Aber während er beide Batterien mehrmals ein- und ausfahren ließ — wobei die Männer bis auf das

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