Kurs auf Spaniens Kueste
engen Freund bezeichnen — dazu kenne ich ihn nicht lange genug —, aber ich hänge sehr an ihm. Tut mir leid, daß es Ihnen anders geht.«
»Mir auch. Ich kam mit den besten Vorsätzen an Bord. Man hatte ihn mir als unberechenbar und grillenhaft geschildert, aber als guten Seemann, und ich war wirklich gewillt, ihn zu mögen. Aber Gefühle lassen sich nicht zwingen.«
»Nein. Trotzdem ist es seltsam; zumindest seltsam für mich, der ich zwischen Ihnen beiden stehe und große Wertschätzung — sogar mehr als Wertschätzung — für Sie beide hege. Gibt es konkrete Fehler, die Sie ihm vorwerfen? Wenn ich erst achtzehn wäre, würde ich Sie fragen: ›Was paßt Ihnen nicht an Jack Aubrey?‹«
»Und ich würde antworten: ›Alles, weil er ein Kommando hat und ich nicht.‹« James lächelte. »Hören Sie, ich kann Ihnen doch nicht ins Gesicht hinein Schlechtes über Ihren Freund erzählen.«
»Oh, er hat sicherlich seine Fehler. Ich weiß, er ist ungeheuer ehrgeizig in seinem Beruf und ungeduldig, wenn etwas nicht nach seinem Kopf geht. Ich wollte nur wissen, was Sie an ihm stört. Oder ist es bloß non amo te, Sabidi? «
»Vielleicht. Schwer zu sagen. Natürlich kann er ein sehr angenehmer Gesellschafter sein, aber manchmal hat er diese typisch englische, bullige, arrogante Dickfelligkeit an sich ... Eines allerdings stört mich ganz gewaltig — seine hemmungslose Gier nach Prisengeld. Er diszipliniert und exerziert die Besatzung wie ein verhungernder Freibeuter, nicht wie ein Kapitän des Königs. Als wir diese elende Polacca jagten, brachte er es nicht über sich, unter Deck zu gehen, sondern blieb die ganze Nacht oben — man hätte denken können, wir seien hinter einem Linienschiff her, was uns wenigstens Ruhm und Ehre eingebracht hätte. Und unsere Citoyen Durand hier war kaum von der Sophie freigekommen, da ließ er schon wieder mit den großen Kanonen üben, ballerte mit beiden Breitseiten in die Gegend.«
»Ist ein Freibeuter verabscheuungswürdig? Ich kenne mich in diesen Dingen nicht aus.«
»Tja, ein Freibeuter hat ganz andere Ziele als wir. Er kämpft nicht für sein Land, sondern um Geld. Er ist ein Söldner, und Profit ist sein Lebenszweck.«
»Könnte hinter diesem häufigen Geschützexerzieren auch eine ehrenhaftere Absicht stecken?«
»Oh, gewiß. Es ist sehr wohl denkbar, daß ich ihm gegenüber ungerecht bin — eifersüchtig — kleinlich. Ich bitte um Vergebung, falls ich Sie verärgert habe. Ich gebe bereitwillig zu, daß seine Seemannschaft ausgezeichnet ist.«
»Herrgott James, wir kennen uns doch lange genug, um einander ohne Verärgerung die Meinung sagen zu können. Reichen Sie mir mal die Flasche herüber?«
»Also gut«, fuhr James fort, »falls ich so offen sprechen darf, als säße ich allein in meinem Zimmer, dann will ich Ihnen folgendes sagen: Ich denke, wie er diesen Kriecher Marshall verhätschelt, ist ekelerregend — um kein stärkeres Wort zu gebrauchen.«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Wissen Sie Bescheid über den Mann?«
»Was ist mit ihm?«
»Er ist schwul.«
»Das wäre möglich.«
»Ich habe konkrete Beweise dafür, schon seit Cagliari. Die hebe ich mir für den Notfall auf. Marshall liebt Captain Aubrey, kriecht vor ihm wie ein Galeerensklave — würde am liebsten den Boden unter seinen Füßen küssen — hetzt die Leute herum, ärger als der Bootsmann — alles nur für ein Lächeln von ihm.«
Stephen nickte. »Kann sein«, sagte er. »Aber Sie trauen Jack Aubrey doch gewiß nicht zu, daß er die gleichen Vorlieben hat wie Mr. Marshall?«
»Nein. Aber ich bin sicher, er ist sich Marshalls Schwäche für ihn bewußt und nutzt sie aus ... Oh, was rede ich da für gemeines, schmutziges Zeug! Jetzt bin ich zu weit gegangen — vielleicht weil ich betrunken bin. Die Flasche ist ja fast leer.«
Stephen hob die Schultern. »Betrunken sind Sie nicht. Aber im Irrtum, glauben Sie mir. Jack Aubrey ist in mancher Hinsicht naiv. In seinem simplen Weltbild werden Homosexuelle nur Pulverjungen, Chorknaben oder jenen obszönen Kreaturen gefährlich, die man in mediterranen Bordellen findet. Ich habe einen vorsichtigen Versuch gemacht, ihn aufzuklären, aber er schaute nur überlegen drein und antwortete: ›Belehren Sie mich bloß nicht über Laster und Perversitäten: Ich war fast mein ganzes Leben bei der Marine.‹«
»Da fehlt es bei ihm wohl etwas an Penetration?«
»James, ich hoffe doch, das war nicht zweideutig gemeint?«
Der Erste schaute auf
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