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Kurs Minosmond

Kurs Minosmond

Titel: Kurs Minosmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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Drachenfliegern benutzt, jetzt waren aber keine zu sehen, zum Glück jedoch auch keine Flattermänner, sie waren also noch rechtzeitig gekommen. Die Studenten der Ordnerschule, die in einem anderen Stadtbezirk lag, würden mindestens eine halbe Stunde länger brauchen. So lange mußte sie die Sekte aufhalten, wenn sie verhindern wollte, daß Menschen zu Schaden kamen. Und hier würde es nicht bei einfachen Knochenbrüchen bleiben.
    Theoretisch wußte Pauline, was sie tun konnte und durfte, aber praktisch hatte sie das noch nie getan, in ihrem Heimatdorf und im Vorwerk genügten meist ein ermahnendes Wort oder die Drohung mit der Öffentlichkeit; das Schlimmste, was sie erlebt hatte, war im vorigen Frühling geschehen, als ein gutes Dutzend junger Leute auf altertümlichen Zweirädern aus Berlin angebraust kam, solchen Dingern, die noch mit Wasserstoff angetrieben wurden und einen unwahrscheinlichen Lärm machten. Und die jungen Leute wollten unbedingt – nach vierzehntägiger Trockenheit! – ein großes Lagerfeuer veranstalten. Ihr war damals nichts weiter übriggeblieben, als einen nach dem andern zum Zweikampf aufzufordern, und erst als sie den sechsten zu Boden geworfen hatte, gaben die andern auf.
    Pauline ließ den Wagen auf dem Parkplatz stehen und rannte den Weg nach oben. Es war ein sauberer, gepflegter Pfad in einer lichten Parklandschaft, anders als im heimischen Busch, es gab keine Zweige und Ranken, denen sie ausweichen mußte, aber dafür ging es nun steil bergan.
    Und dann sah sie die Flattermänner – etwa dreißig Leute, keine Kinder dabei, wenig Jugendliche, aber auch keine Alten, soweit sie das mit dem ersten Blick erfassen konnte. Sie trugen alle einen hellblauen Dreß, der Arme, Schultern und Beine frei ließ.
    Sie waren gerade dabei, in einer Linie parallel zum Abhang Aufstellung zu nehmen, und Pauline mußte innerhalb weniger Sekunden herausfinden, ob es hier so etwas wie einen Leiter oder einen Oberflattermann gab, denn das bot ihr die Chance, den Vorgang aufzuhalten. Jetzt sah sie es: Am linken Flügel, also am weitesten von ihrem jetzigen Standort entfernt, war jemand, der den andern Zeichen gab.
    Pauline rannte vor der Linie entlang, rief „Halt!“ und „Warten Sie!“ und wieder „Halt!“, und dann stand sie vor dem Mann, von dem sie glaubte, daß er der tonangebende Mensch dieser Gruppe sei.
    „Ich bin Ordner, ich muß Sie sprechen, jetzt!“ keuchte sie.
    „Jetzt nicht, gehen Sie beiseite!“ sagte der Mann barsch. Pauline blieb vor ihm stehen. Ihm die Sicherheit nehmen! dachte sie. Ihn zum Zweifeln bringen! „Sie können da nicht runterspringen!“ sagte sie.
    „Doch, ich kann!“ behauptete der Mann. „Ich kann fliegen!“
    „Ihre Sache. Aber Sie dürfen den andern keine Zeichen geben, daß sie es auch versuchen.“
    „Die können’s auch!“
    „Alle? Bis auf den letzten? Keiner darunter, der es vielleicht nicht schaffen könnte?“
    „Die Schwachen trägt die Gemeinschaft.“
    „Und wenn doch einer dabei ist, den sie nicht trägt? Ein einziger nur? Den haben Sie dann getötet!“
    Pauline merkte, wie der Mann unsicher wurde. Aus den Augenwinkeln aber sah sie, daß in der Mitte der Linie sich ein neuer Führer gefunden hatte: Einer war vorgetreten, winkte den andern, und schon bewegte sich die ganze Linie auf den Abhang zu.
    Mit drei, vier großen Sätzen war Pauline bei dem neuen Oberflattermann und riß ihn zu Boden. Dann sprang sie wieder auf, streckte den andern die Arme entgegen und schrie: „Zurück! Zurück! Gehen Sie zurück! Gehen Sie zwanzig Schritte zurück!“
    Die Linie stockte. Pauline war jetzt nur noch etwa fünf Meter vom Abhang entfernt, wenn sie die Leute nicht zum Halten brachte, konnte sie sogar mit in den Abgrund gerissen werden. Aber sie sah auch, daß die Leute zögerten. Ein konkretes Kommando geben! fiel ihr ein. „Gehen Sie zwanzig Schritte zurück!“ rief sie noch einmal. „Eins – zwei – drei…“ Tatsächlich, die meisten folgten dem Kommando, zwar zögernd, aber nach und nach immer einheitlicher.
    Pauline half dem Mann auf, den sie umgerissen hatte, während sie bis zwanzig kommandierte, dann entschuldigte sie sich bei ihm. „Es war meine Pflicht als Ordner, Sie aufzuhalten“, sagte sie. „Ich hoffe, ich habe Ihnen nicht zu weh getan!“
    „Wir tun hier nichts Unrechtes“, erwiderte der Mann, halb protestierend, halb erklärend. „Wir sind eine Sympathiegemeinschaft, die hier ihren Sport treibt, weiter nichts. Sie sind wohl

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