Kurs Minosmond
praktikabel gehalten hätte; manche aber fanden, sie habe sich die Sache zu leicht gemacht. Das waren freilich mehr Leute von der Peripherie des Geschehens, etwa aus dem Bereich der Dienstleistungen und des Transports, die nur wenig Einblick hatten in die Problematik und auch die Reichhaltigkeit der wissenschaftlichen Anregungen nicht überblickten, die von dem Verfahren ausgegangen waren.
In Wirklichkeit aber war das Verfahren mit Sibylles Spruch noch nicht zu Ende. Führende Köpfe aus allen Bereichen der Raumfahrt, Physik, Kosmologie und verwandter Wissenschaften meldeten sich zu Wort, zum Teil mit Erwiderungen auf andere Beiträge, und denen folgten wiederum Entgegnungen, und Sibylle sorgte dafür, daß das alles kursierte. So war aus dem Verfahren eine große wissenschaftliche Konferenz geworden. Das war wiederum kein Wunder – turnusmäßige Konferenzen hielt niemand mehr ab; wenn Bedarf nach einer Auseinandersetzung entstanden war, wurde eben ein Schlichtungsverfahren, ein Projektbericht oder irgendeine andere Gelegenheit dazu benutzt.
Obwohl die Ergebnisse allen zugänglich waren, auch den Experimentatoren der Blastula-Gruppe, hielt Sibylle es für geraten, sich noch einmal mit Esther, Akito und den anderen zusammenzusetzen. Nicht jeder vermochte der Debatte zu folgen, vor allem wenn er theoretisch nicht so beschlagen war, und bis das immer noch wachsende Material informatorisch aufbereitet war und auf mehreren Stufen unterschiedlichen Schwierigkeitsgrades formuliert vorlag, würde noch einige Zeit vergehen.
Sie trafen sich zwanglos in einem der unzähligen kleinen Gesellschaftsräume in Sternenstadt, in denen man Getränke und Speisen bestellen oder auch selbst zubereiten konnte. Als alle sich versorgt hatten, begann Sibylle.
„Die Fragestellung unseres Verfahrens hat in allen Naturwissenschaften und nicht nur dort Echos erzeugt. Es wird als allgemeines Problem der Wissenschaft empfunden, daß es zunehmend schwieriger wird, Richtung und Grenze des Experimentierens festzulegen. Offenbar wird auch dort, wo noch kein konkreter Anlaß dazu besteht, die Befürchtung empfunden, man könne jeden Tag auf eine solche Grenzfrage wie die unsrige stoßen. Ich hatte gesagt, nicht nur in den Naturwissenschaften, und füge deshalb hier gleich als Beispiel die Ausarbeitung einer Gruppe von Wissenschaftssoziologen an, die dieses allgemeine, bestätigte Unbehagen darauf zurückführen, daß die Grundlagenforschung unserer Tage sich sehr weit von der Technik der Produktion gelöst hat und nur noch von ihren eigenen Fragestellungen inspiriert wird. Oder anders gesagt: Was der einzelne Forscher als fördernd empfindet, daß er sich auf den Erkenntnisgewinn konzentrieren kann und nicht Bedürfnisse der materiellen Produktion befriedigen muß, kann sich für die Forschung im ganzen als hemmend erweisen. Übrigens ist das ein uraltes Problem, es stellt sich nur in jedem Zeitalter neu. Das Neue heute ist, daß die stabile Produktion tatsächlich keine Anforderungen stellt – oder fast keine – und daß eine Änderung dieses Sachverhalts an den Grundfesten der Stabilen Gesellschaft rütteln würde.
Das macht es verständlich, daß zu den Hauptthemen der Diskussion, die ich jetzt aufzählen will, der Beitrag von Ruben Madeira gehört. Obwohl er eigentlich nur ein persönliches Anliegen vorgebracht hat, zeigt er mit dem Wunsch, daß anwendbare Ergebnisse angesteuert werden sollen, einen möglichen Ausweg aus der obengenannten Lage. Wenn die Produktion vorläufig keine stimulierenden Anforderungen stellen kann, muß es die Forschung selbst tun. Unter diesen Aspekten wird sogar sein zweiter Vorschlag, der wohl etwas utopisch klingt, nämlich die Planeten zu besiedeln, ernster genommen, als ich das erwartet hätte.
Der zweite Punkt, auf den sich vielseitiges Interesse konzentriert, ist die Formel beziehungsweise ihr physisches Modell – dieser Formelapparat, der das Verhalten eines unerhört exotischen Teilchenkollektivs beschreibt und so etwas wie ein Universalschlüssel für die Mathematisierung der unterschiedlichsten Probleme wird, in Bereichen, die überhaupt nichts mit Teilchen, ja oft nicht einmal etwas mit Physik zu tun haben. Unser Formelmodell entwickelt sich zu einem Unternehmen, das für andere Berechnungen anstellt, und über Auftragsmangel können sich die Kollegen nicht beklagen. Sie bereichern damit unseren Dienstzeitfonds erheblich.
Der dritte Punkt sind eure Experimente selbst. Auch da werden von vielen
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