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Kurs Minosmond

Kurs Minosmond

Titel: Kurs Minosmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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Wirkungen zu erzielen.
    Und nun werden Sie sagen: So können vielleicht einzelne Menschen leben, aber keine Gesellschaft.
    Und nun sagen wir: Doch, sie kann.“
    Beim zweiten Lesen war Ruben eine Nuance aufgefallen, die er vorher übersehen hatte: Im Ton schien etwas Herausforderndes zu liegen, besonders am Schluß, etwas von „Sie werden schon sehen“ oder sogar von „Wir werden’s euch zeigen“. Das erschien ihm bedenklich, vor allem im Zusammenhang mit der aktuellen Unterbrechung der Funkverbindung. Auf Gagarin hatte man zwar die notwendigen Schritte eingeleitet, also dieses Schiff entsandt, aber nicht angenommen, daß irgend etwas Katastrophales eingetreten sei. Man glaubte eher an eine Panne des Übertragungssatelliten, denn sonst hätte wohl eine Station geschwiegen, doch nicht alle drei zugleich. – Wie alt war der Artikel? Ein halbes Jahr. Sollten sie damals etwas vorgehabt haben, was sich heute abspielte?
    Aber spekulieren hatte wenig Sinn. Ruben wandte sich deshalb den verschiedenen Quellen zu, die zu einzelnen Stichworten des Artikels angegeben waren. Sie gingen jedoch so ins einzelne, daß sie ihm nicht viel sagten. Er begriff nach und nach, daß die Stationen – oder Siedlungen, wie die Venusier sagten – große Ballons waren oder vielmehr Bündel von Ballons, deren größter die Besatzung trug, und zwar nicht unter sich, wie man sich das bei irdischen Ballons vorstellt, sondern in sich. Metallische Werkzeuge und Aggregate gab es so gut wie gar nicht; verständlich, der Tragfähigkeit wegen. Na gut, alles andere würde er sich selbst ansehen.
    Auf jeden Fall würde wenigstens er, Ruben, diese Gedanken aus dem Artikel ernst nehmen, wenn auch anscheinend dessen Wirkung verpufft war, bisher wenigstens: Es gab weder Zustimmung noch Entgegnung. Nach einem halben Jahr müßte sich doch jemand aufgerafft haben. Oder war der Autor zu unbekannt? Das sollte eigentlich kein Maßstab sein, aber hin und wieder kam es wohl vor, daß das eine Rolle spielte, besonders bei zweifelhaften‹ oder polemischen Texten, und der Geruch von beidem haftete dem Artikel an.
    Ruben kannte den Autor oder die Autorin auch nicht, der Artikel war nur mit McPherson gezeichnet, und Ruben war niemand dieses Namens erinnerlich. Er ließ die Liste der ersten Teilnehmer auf dem Schirm erscheinen, der Name kam hier auch nicht vor, er löschte sie wieder, rief die Namen der später Nachgekommenen hinzu, auch dort kein McPherson – aber dann holte er die erste Liste zurück, ihm war plötzlich etwas aufgefallen, und zwar, als er sie schon gelöscht hatte, richtig, da stand es: Teilnehmer der Forschungsexpedition Venus von… bis…
    Eine Zeitspanne von anderthalb Jahren war angegeben, beginnend mit der damaligen Einrichtung der Stationen. Tatsächlich aber war keine Ablösung erfolgt, abgesehen von ein paar Ausnahmen. Darüber mußte es doch eine offizielle Dokumentation geben, hatte er die nicht in seinen Materialien? Er gab dem Computer den Auftrag, die Titel aller gespeicherten Materialien aus dieser Zeitspanne zu zeigen.

    Ruben rief die Dokumente ab und vertiefte sich darein. Donnerwetter, das war ja allerhand! Die Venusleute hatten sich regelrecht widersetzt, als sie abgelöst werden sollten, hatten einen Beschluß des Wissenschaftlichen Rates zurückgewiesen, der sie abberief, und – das gab es doch nicht! – den Rat für unzuständig erklärt. Sich sozusagen dem eigenen Kommando unterstellt. Etwas Vergleichbares hatte Ruben noch nie erfahren, nicht einmal davon gehört, und für einen Augenblick machte ihn das fassungslos. Wie will man denn leben ohne repräsentative Entscheidungen in den grundlegenden Fragen und ohne ihre selbstverständliche Respektierung. Zum erstenmal kam ihm so etwas wie eine Ahnung davon, daß hinter dieser sonderbaren Geschichte weit mehr stecken mußte; denn der Rat hatte ja die Entscheidung der Venusier anerkannt, und das konnte gewiß nicht nur deshalb geschehen sein, weil ihm nichts anderes übrigblieb!
    Spätere Materialien zu dieser Frage waren nicht archiviert; zweifellos hatte es welche gegeben, und wenn sie nicht zugänglich waren, dann mußte es einen entsprechenden Beschluß der nächsthöheren Instanz geben, des Raumbüros vielleicht oder sogar der Versammlung der Konrats, der Kontinentalratgeber. Da lief also etwas, was aus der öffentlichen Diskussion herausgehalten wurde – ebenfalls ungewöhnlich. Nun war Rubens Interesse hellwach, und er war sehr gespannt, wie es auf den

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