Kurs Minosmond
Vergleich der Regionswerte mit den Werten für die gesamte Weltbevölkerung. Der war schnell abrufbar: Die Zahlen waren genau die gleichen. Wieder etwas Sonderbares – sonst spielten immer regionale Unterschiede eine Rolle, die sich wenigstens in Abweichungen hinter dem Komma manifestierten. Hier nicht. Das mußte nichts bedeuten. Doch wenn es etwas bedeuten sollte, dann nur, daß das Problem überregional, sogar überkontinental war. Ein Grund mehr, den wirklichen Zusammenhängen auf die Spur zu kommen. Aber vielleicht auch die Gelegenheit, diese ganze Sache abzugeben an die Konrats, wenn der übergreifende Charakter erst einmal hinreichend belegt werden konnte… Unsinn, so in die Zukunft zu spekulieren. Bisher gab es nichts außer einigen Eiweißmolekülen, die sich im Gehirn des ehrenwerten Wenzel Kramer herumtrieben.
Also, gehen wir die Zahlen mit den üblichen groben Mitteln an! Örtliche oder zeitliche Häufungen? Örtliche nicht, zeitliche nicht. Häufungen in Dienst, Handwerk oder Kunst? Keine. Unterschiede des Geschlechts? Auch keine. Häufungen in den Altersstufen?
Donnerwetter! Gerade als Wenzel schon glaubte, es werde hierbei ebenfalls nichts Nennenswertes herauskommen – gerade jetzt dieses Ergebnis! Eine unübersehbar deutliche Häufung zwischen fünfzig und fünfundfünfzig Jahren!
Wenzel hatte die letzten Fragen auf die Region bezogen, jetzt wiederholte er diese Frage, bezogen auf die Weltbevölkerung – das gleiche! Noch deutlicher ausgeprägt die Glockenkurve der Normalverteilung mit dem Zentrum bei zweiundfünfzig Jahren! Und das sollte noch niemandem aufgefallen sein?
Aber vielleicht war diese Erscheinung neu? Wenzel stellte die Frage jetzt für die Zeit des vorangegangenen Jahrzehnts. Tatsächlich, die Häufung war weniger prägnant. Weiter! Ein Jahrzehnt früher – ganz schwach. Vor fünf Jahrzehnten – kaum erkennbar. Vor acht Jahrzehnten, gleich nach Einführung des Netzes – nichts.
Gab es dazu Forschungen? Wenzel brauchte einige Zeit, bis er die Frage formuliert hatte, und er dehnte sie dabei gleich aus auf Gesundheit allgemein. Wieder zogen schier endlose Reihen von Titeln über den Bildschirm, aber diesmal trugen viele von ihnen das Sternchen, das das Vorhandensein unterspezialisierter Fassungen verkündete, es waren wohl auch nicht ausgesprochen medizinische Werke, sondern eher soziologische. Wenzel bestellte drei davon auf den Schirm und begann zu lesen. Viel mehr, als er schon wußte, gaben sie freilich auch nicht her: daß zu Beginn des sechsten Lebensjahrzehnts eine erhöhte Anfälligkeit gegen Herz- und Kreislaufunregelmäßigkeiten bestehe, daß diese Erscheinung relativ neu sei und also noch nicht deutbar, daß man weiter forschen müsse und daß jedenfalls erhöhte Vorsicht in diesem Alter geboten sei, daß aber schließlich die Anfälligkeit nach ein paar Jahren wieder abflaue. Das hilft Otto Mohr nicht mehr! dachte Wenzel grimmig. Und mir auch nicht. Vielleicht war die Originalfassung ergiebiger, aber die konnte er wieder ohne Hilfe nicht verstehen.
Der zweite Artikel zählte alle möglichen Dinge auf, die im Leben der Menschen zu Anfang des sechsten Jahrzehnts als Problem auftreten können: Die Kinder gehen aus dem Haus. Viele über fünfzig beginnen mit der Vorbereitung auf den Lehrberuf. Persönliche Krisen in dem einen oder anderen Bereich der Arbeit sind nicht selten. Ehepaare trennen sich. Wechsel des Wohnorts. Das und vieles andere mehr häufte sich in diesem Lebensalter – aber für keinen dieser Faktoren und auch nicht für ihre Summe ließ sich ein direkter Zusammenhang mit der Gefährdung statistisch nachweisen.
Der dritte Artikel befaßte sich mit der Entstehung dieser Erscheinung. Er stellte allerdings eher ein Programm für Forschungen als ein Ergebnis dar. Nach der Periode der Harmonisierung und mit Beginn der Stabilisierung, die gegenwärtig noch andauerte, wurden die Voraussetzungen geschaffen für eine fortschreitende Sensibilisierung der menschlichen Seele. Die Abwesenheit von schädlichen Einflüssen aller Art, die auf die Individualität gerichtete schulische Erziehung, die gleiche Auslastung beider Gehirnhälften, verbunden mit der Kultivierung körperlicher Geschicklichkeit, so stellte der Artikel fest, schufen einen neuen Menschen überall und in wachsender Zahl. Die seelische Sensibilität und die körperliche Ausgewogenheit verdrängten die Alterung bis ins elfte und zwölfte Jahrzehnt. Der Artikel stellte die Hypothese auf, daß in dem
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