Kurs Minosmond
– es war kalt geworden in dem kleinen zeltartigen Verschlag, in dem sie saßen, und etwas dunkler auch. Aber schon wurde es wieder heller, in den Sonnenfleck konnte man nicht mehr sehen, hier und da tauchte schon ein Fleckchen Blau auf.
„Das Eis schmilzt nun, und das Wasser spült die Säure weg. Schnallen Sie sich jetzt an, so wie ich hier, es geht gleich los.“ Was da gleich losgehen sollte, spürte Ruben bald: Die Siedlung wurde so heftig gerüttelt und geschüttelt, daß er sich wunderte, wie stabil alle diese Seil- und Stoffverbindungen waren. Wie Sheila erklärte, waren das die Luftwirbel an der Grenze zur Sphäre des ständigen Orkans, den die Venusier Transportwind nannten, weil sie ihn hauptsächlich dazu nutzten, von einer Siedlung zur anderen zu kommen oder mit der gesamten Siedlung die Nachtseite der Venus in zwei Erdentagen zu durchfliegen.
Bald ließ das Rütteln und Schütteln nach, und unter fast dunkelblauem Himmel hoch über den blendendweißen Wolken, schien die Siedlung unbeweglich zu schweben. Freilich waren die Ballons, die sie trugen, jetzt größer und dunkler, und auch das Schlauchboot selbst sah nicht mehr hellgelb, sondern braun aus – mehr Sonnenenergie wurde aufgenommen.
„Ende des Manövers“, sagte Sheila und erhob sich. „Haben Sie noch Fragen?“
„Ja, eins fiel mir auf – wieso sackt die Siedlung unter dem Gewicht des Eises nicht ab, wenn Sie die Wolken durchstoßen?“
„Das hab ich vergessen zu sagen. Während des normalen Flugs in der Wohnsphäre entstehen trotz fast vollständigen Stoffkreislaufs doch in kleinerem Umfang Ballaststoffe, die für uns nicht mehr verwertbar sind. Die werden gesammelt und in solchen Fällen der Vereisung, die ja auch nicht immer auftreten, dann wirklich als Ballast benutzt, nämlich abgeworfen.“
Dieses kleine Beispiel überzeugte Ruben mehr als alle sonst vorgeführten oder erläuterten Kreisläufe, Regelungen, Abstimmungen: Das waren wirklich Siedlungen, das alles war schon historisch gewachsen, wenn auch die Historie erst einen winzigen Zeitraum umfaßte. Es würde nicht mehr lange dauern, und die vorher konstruktiv erdachten und bei Gründung verwirklichten Regelungen würden die Minderzahl bilden – und dann war dies tatsächlich eine Gesellschaft für sich.
Aber ebenso gewiß war es nicht seine Gesellschaft. Ihr Verbündeter wollte er gern sein – ihr Mitkämpfer nicht. Doch das war sicherlich auch nicht notwendig, denn ihre Interessen gingen parallel: Begann erst einmal die Besiedlung eines Planeten, dann würden bald auch andere folgen, darunter gewiß der schöne Mond Esther, der zwar viel weiter entfernt lag, dafür aber auch bedeutend günstigere Voraussetzungen hatte.
Und was fesselte ihn eigentlich so an diesem Projekt? Warum verstand er nicht, was die Venusier hier festhielt? Ruben gestand sich ein, daß er erst einmal aufhören müsse zu grübeln und daß er vielleicht etwas mehr Lebenserfahrung und Weltkenntnis brauchte, also kurz: Alter, um sich selbst und dann auch andere zu verstehen.
„Reihen Sie mich ein unter Ihre Verbündeten“, sagte er. „Was macht die Fähre?“
„Die ist schon unterwegs zur dritten Siedlung“, antwortete Sheila. „Wir sollten gleich von hier aus hinterherfliegen, da sparen wir uns den nochmaligen Abstieg. Der beginnt in ungefähr fünf Minuten. Einverstanden?“
Etwas über dreißig Flugstunden waren es bis zur dritten Siedlung. Die ersten Stunden vergingen schnell, weil Ruben lernte, wie der Zweimannballon manövriert wurde. Das war denkbar einfach. Der Transportwind war nämlich durch und durch homogen, keine Wirbel, keine Böen störten den Flug, und das Manövrieren beschränkte sich eigentlich darauf, die Höhe zu halten und später, bei Annäherung an die Siedlung, seitliche Korrekturen auszuführen mit Hilfe der Peristaltik, die wie ganz schwache Steuer- und Antriebssysteme wirkten.
Von den Gesprächen, die sie danach führten und die meist persönliche Themen und Erinnerungen betrafen, blieben zwei in Rubens Gedächtnis haften, sie fielen ihm später immer wieder ein und wurden mit der Zeit zu wesentlichen Anstößen seines Denkens.
Das eine Gespräch drehte sich um das Wohlbefinden. Ruben war aufgefallen, daß er sich bei allem, was er tat und dachte, stets lustvoll und kreativ fühlte.
Sheila erklärte ihm, daß das eine Wirkung der verminderten Gravitation sei, und zwar der um eben den hiesigen Betrag verminderten Gravitation. „Wir hatten Glück damit“, sagte
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