Kurschatten: Ein Sylt-Krimi
Schultern. »Wichtig ist dieser Wisch vermutlich nicht.«
Erik ging ins Wohnzimmer zurück, um mit der Durchsuchung fortzufahren. Sören tat das Gleiche im Schlafzimmer. Schweigend arbeiteten sie sich durch Matildas Besitz, bis ein Klingeln an der Tür sie aufschreckte. Erik öffnete und stand einer alten Dame gegenüber, gut siebzig Jahre, weißhaarig, klein, drahtig. Aus ihrem faltigen Gesicht blitzten Augen, die zwanzig Jahre jünger zu sein schienen als der Rest ihrer Gestalt.
Erstaunt sah sie ihn an. »Ich habe was gehört. Ich dachte, Matilda ist zurück.« Dann schoss die Empörung in ihr Gesicht. »Was machen Sie hier?«
Erik zeigte ihr seinen Dienstausweis und bat sie herein. »Sie kannten Matilda Pütz?«
»Ich wohne unter ihr. Das Haus ist schrecklich hellhörig. Ich habe sofort gemerkt, dass jemand in Matildas Wohnung ist.« Dann stutzte sie. »Kannten? Warum benutzen Sie das Präteritum?«
Sörens Schulzeit lag noch nicht so lange zurück wie Eriks, er begriff sofort, was die alte Dame meinte. »Sie wissen anscheinend nicht, dass Frau Pütz verstorben ist?«
M amma Carlotta bog zufrieden in den Mittelweg ein. Ihr Fuß schmerzte kaum noch, und die Anzahl der Unterschriften, die auf ihrer Liste dazugekommen waren, konnte sich sehen lassen. Was ihr Hochgefühl jedoch beeinträchtigte, war die Erkenntnis, dass Corinna Matteuer noch intriganter war, als sie vermutet hatte. Ihr machte sie weis, Niccolò könne das Bistro im Gesundheitshaus bekommen, und Tove machte sie am selben Tag eine Zusage! Dass sich vermutlich auch Ludo Thöneßen Hoffnungen gemacht hatte, mit dem Bistro eine neue Existenzgrundlage zu bekommen, daran mochte sie gar nicht denken.
»Incredibile!«, murmelte sie vor sich hin, als sie vor dem Squashcenter vom Rad stieg und es in einem von Unkraut umwucherten Fahrradständer abstellte. Hoffentlich konnte sie verhindern, dass diese Frau ihren Schwiegersohn erfolgreich umgarnte! Wie bedauerlich, dass es nun keine Option mehr war, Eriks Interesse auf eine andere Frau zu lenken, die Mamma Carlotta bisher geeignet erschienen war, einen festen Platz in seinem Herzen einzunehmen. Wiebke Reimers war ja genauso wenig zu trauen wie Corinna Matteuer! Das Bild, wie sie durch die Gärten am Dorfteich geflüchtet war, geisterte immer noch durch Mamma Carlottas Kopf.
Die Bedrückung, mit der sie die Stufen zum Eingang hochstieg, stob davon, als sie die Sportlerklause betrat, wo sich schon ein großer Teil der Bürgerinitiative versammelt hatte.
Mit großem Hallo wurde Mamma Carlotta begrüßt. »Unser Star! Die schöne Dame von Seite eins! Finito mit Matteuer-Immobilien! Ein tolles Titelbild!«, schwirrten die Stimmen durcheinander.
Mamma Carlotta vergaß sofort alles, was sie gequält hatte. Ein Raum voller Friesen, und trotzdem herrschte keine lähmende Stille, sondern ausgelassene Fröhlichkeit! Ein solcher Augenblick musste gefeiert werden! Die Angst, die ihn noch niederdrückte, war allerdings nicht ganz zu vergessen. Was würden die, die ihr jetzt zujubelten, sagen, wenn sie wüssten, dass sie sich für ihren Neffen um das Bistro im Gesundheitshaus bemühte? Sie musste aufpassen! Zwar waren zwei der drei Personen, die ihren Besuch im Baubüro bezeugen konnten, nicht mehr am Leben, aber Corinna würde schon einen Weg finden, Mamma Carlotta in negativem Licht erscheinen zu lassen, wenn sie es wollte. Vor ihr musste sie auf der Hut sein.
Während Jacqueline die ersten Sektgläser füllte, kam eine Stimmung auf, wie sie auf der Piazza in Panidomino an einem schönen Sommerabend nicht ungewöhnlich war. Mamma Carlotta vergaß Corinna Matteuer und fühlte sich von Minute zu Minute wohler. Dass so etwas im kalten Wenningstedt möglich war! Sie hätte es noch vor wenigen Tagen nicht glauben können.
Die Zeitung mit dem Titelbild, das Mamma Carlotta zeigte, ging von Hand zu Hand. Anerkennende Rufe waren zu hören. »So viel Aufmerksamkeit haben wir schon lange nicht mehr bekommen.«
Zwar gab jemand zu bedenken, dass diese Aufmerksamkeit vor allem der Leiche galt, die kurz nach der Demo gefunden worden war, aber davon wollten die anderen nichts hören. »Da haben wir nix mit zu tun!«
»Nächste Woche noch der Artikel in der Mattino« , rief einer. »Dann kennt uns ganz Deutschland!«
Auch der Zweifler, der anmerkte, dass die Investorin am Ende nicht von »Verraten und verkauft«, sondern von den merkwürdigen Todesfällen in ihrer Umgebung zum Aufgeben gezwungen werden könnte, erhielt kein
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