Kurschatten: Ein Sylt-Krimi
sind in Court eins«, sagte Jacqueline.
Dort herrschte Unfrieden, der Mamma Carlotta zum Glück von ihrer Sorge ablenkte. Felix war mit einem Plakat beschäftigt, das fast so groß war die Grundfläche des Squashcourts, und versuchte nun, die beiden Besenstiele an den Seiten zu befestigen, damit er es mit seiner Schwester im Zug der Demonstranten tragen konnte.
Mamma Carlotta verstand nicht, warum Carolin auf ihren Bruder herabschimpfte. Bewundernd las sie, was Felix mit dicken Lettern auf das Plakat geschrieben hatte: »Sylt braucht keine Inwestoren vom Festland! Sylt braucht Politiker, die unsere Insel nicht verraten und verkaufen! – Benissimo, Felice!«
»Investoren mit W!«, regte Carolin sich weiter auf. »Bist du bescheuert?«
Felix behauptete, er kenne sich in der Rechtschreibung bestens aus. Das behauptete er so lange, bis Carolin aus dem Nachbarcourt einen jungen Mann geholt hatte, der an der Volkshochschule von Westerland Deutschkurse für Ausländer gab. Als der sich auf ihre Seite stellte, war Felix endlich bereit, seiner Schwester zu glauben. »Na und? Es ist doch völlig wurscht, was man schreibt. Es kommt nur darauf an, dass man was tut.«
Mamma Carlotta versuchte zu vermitteln, indem sie Carolin für ihre Gewissenhaftigkeit und Felix für die Mühe lobte, die er sich gegeben hatte, aber das trug nicht zum Frieden bei. Carolin weigerte sich weiterhin strikt, unter einem Plakat mit einem Rechtschreibfehler zu marschieren.
»Stell dir vor, ich gehe später in die Politik, und irgendein Journalist sucht aus seinem Archiv dieses Foto heraus, um mich zu blamieren. Vielleicht bin ich dann schon Kultusministerin! Wie soll ich dann erklären, dass ich ein Plakat mit einem dicken Rechtschreibfehler getragen habe?«
»Du und Kultusministerin? Dass ich nicht lache!«, gab Felix höhnisch zurück.
Erst als Mamma Carlotta die Idee hatte, mit Zahnpasta den Teil des Ws zu entfernen, der ihn vom V unterschied, besserte sich die Stimmung. Und als Jacqueline ihr die Kiste mit den Fundsachen zeigte, die Spieler vergessen hatten, trat Einigkeit ein. Dort fand Mamma Carlotta nämlich eine Tube Zahnpasta, und im Nu war der Fehler getilgt.
Zufrieden kehrten sie ins Bistro zurück, wo die Plakate vorgeführt und für gut befunden wurden. Der Leiter der Bürgerinitiative drillte die Mitglieder überdies mit wirkungsvollen Parolen, während sein Stellvertreter, ein pensionierter Lehrer, Argumentationshilfe gab, für den Fall, dass die Firma Matteuer-Immobilien nicht wie sonst die Fenster und Türen verriegelte, sondern jemanden zu den Demonstranten schickte, der bereit war, eine Stellungnahme abzugeben.
»Mit Frau Matteuer selbst können wir wohl nicht rechnen«, schloss er. »Die Schwester hat sich gestern umgebracht.«
»Dann spielt ihr das Schicksal endlich auch mal böse mit!«, rief jemand, der damit viel Applaus erntete.
»Und unser Gemeinderat?«, fragte ein anderer.
»Dort weiß man über die Demo Bescheid«, erklärte Willi Steensen, der Vorsitzende. »Angeblich will auch jemand kommen und uns Rede und Antwort stehen. Aber ich habe Zweifel. Wenn es so weit war, haben bisher noch immer alle durch Abwesenheit geglänzt.«
»Feiglinge!«, rief jemand und ließ sich dafür bejubeln.
»Ludo war bisher immer der Einzige, der sich auf unsere Seite gestellt hat.«
Stille trat ein, alle Blicke gingen zur Theke, wo Jacqueline Bier zapfte und so tat, als bemerkte sie das plötzlich einsetzende Schweigen nicht. Sie hob erst den Kopf, als sie direkt angesprochen wurde. »Kommt Ludo heute noch?«
Jacqueline zuckte die Schultern. »Keine Ahnung.«
Dass die Tür des Bistros sich öffnete, bemerkte Mamma Carlotta als Erste. Sie sprang auf, stürzte auf Wiebke Reimers zu, um sie zu begrüßen, und zog sie in die Mitte der Demonstranten. »Sind Sie gekommen, um über die Demo zu berichten?«
Schlagartig war Ludo Thöneßen vergessen. Die Mitglieder der Bürgerinitiative, über die noch nie ein anderer als Menno Koopmann berichtet hatte, sahen Wiebke erwartungsvoll an.
»Welche Zeitung?«, fragte der Vorsitzende.
Als Wiebke verriet, dass sie für die Mattino arbeitete, brach Jubel aus. Die Feinheit, dass es der Mattino vermutlich mehr um den spektakulären Selbstmord von Matilda Pütz ging und die Demo nur ein kleiner Teil dieser Sensation sein sollte, war unerheblich. Tatsache war, dass sich jeder Hoffnung darauf machen konnte, demnächst auf Hochglanzpapier abgelichtet zu sein. Und das war Grund genug, die
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