Kurschattenerbe
eines einzelnen Buches nicht an. Im Übrigen«, er nahm einen Schluck von seinem Macchiato, bevor er weitersprach, »im Übrigen versichere ich Ihnen, dass mein nächstes Buch über Oswald von Wolkenstein wieder ein Verkaufsschlager wird.«
»Was macht Sie so sicher?«
Maurice überlegte. Sollte er dem Journalisten die Neuigkeit mitteilen? Rasch traf er eine Entscheidung und fuhr fort. »Ich bin auf etwas gestoßen, das bisher nicht bekannt ist. Es ist eine Sensation für die Wissenschaft. Und meinen Lesern verspreche ich ein Buch, das alle bisherigen in den Schatten stellt.« Ein weiteres Mal führte er seine Kaffeetasse an die Lippen. Hatte er zu viel verraten? Er hatte die Sache eigentlich nicht publik machen wollen. Andererseits, was konnte es schaden, wenn er diesem eifrigen Reporter ein wenig Stoff zum Schreiben lieferte?
Beppo Pircher stellte die nächste Frage: »Das Buch war für das Frühjahr angekündigt, doch die Veröffentlichung wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. In der Kollegenschaft bezweifelt man, dass das Buch überhaupt publiziert wird. Was sagen Sie dazu?«
Maurice warf einen Blick auf seine exquisite Schweizer Armbanduhr. »Es gibt immer Neider, die Gerüchte in die Welt setzen«, antwortete er. »Tatsache ist, dass das Erscheinen des Buches auf meinen Wunsch hinausgezögert wurde. Ein paar Details müssen überprüft werden. Gehen Sie davon aus, dass der Verlag bald einen neuen Termin bekannt geben wird.«
Maurice war aufgestanden, auch der Reporter erhob sich: »Eine letzte Frage: Werden Sie die Neuigkeit auf der heutigen Pressekonferenz ankündigen?«
Diesmal antwortete Maurice, ohne zu zögern. »Nein, die Pressekonferenz ist ausschließlich dem Symposium gewidmet. Das, was ich Ihnen gerade erzählt habe, ist exklusiv. Mehr will ich im Moment nicht preisgeben.«
Er schüttelte dem Journalisten die Hand und geleitete ihn zur Tür. Ehe er diese öffnen konnte, wurde sie aufgerissen. Dr. Sommer stürmte ins Zimmer. Beinahe wäre sie ihm in die Arme gelaufen, konnte jedoch gerade rechtzeitig abbremsen. »Maurice, entschuldigen Sie die Störung. Ich muss Sie dringend sprechen.«
Maurice wandte sich ein letztes Mal an den Reporter: »Wir sehen uns bei der Pressekonferenz«, sagte er zu dem Mann. Gleich darauf bat er Jennifer – er bevorzugte den vollen Vornamen – in den Ohmann-Saal und schloss die Tür.
*
Sascha Maximowa schaltet einen Gang zurück. Das letzte Steilstück lag vor ihr. Mit Bravour bewältigte sie die Herausforderung. Der Gipfel war erreicht und es ging wieder bergab. Sie beschleunigte, gleich darauf betätigte sie die Bremsen: Die nächste Kurve kam näher, da durfte man nichts riskieren. Problemlos gelangte sie bis zur Ebene, hier konnte sie Gas geben.
Geschafft, Sascha hatte ihr Ziel erreicht. Auf der Digitalanzeige las sie die Zeitangabe: 25:20. Damit hatte sie ihren persönlichen Rekord auf dieser Strecke um fast eine Minute unterboten. Zufrieden schaltete sie ihre Spielkonsole aus.
Das Computerprogramm diente Sascha dazu, sich auf die Rennen im freien Gelände vorzubereiten. Denn eines wusste sie mit Sicherheit: Sie wollte Mountainbike-Rennen fahren. Da konnten ihre Mutter und ihre Lehrer getrost von Zeichentalent faseln – für sie war das Gekritzel nur ein Zeitvertreib. Ihre wahre Berufung fand sie im Sattel eines Fahrrades.
Sie lümmelte sich in eines der Fauteuils in ihrer Junior-Suite im Grand Hotel. Was für eine Verschwendung. Ebenso gut hätte sie in der Suite ihrer Mutter unterkommen können, da war genug Platz. Kateryna hatte auf einem eigenen Zimmer für ihre Tochter bestanden. »Du bist fast erwachsen. Da sollst du auch eine Suite für dich allein haben«, hatte sie versucht zu schmeicheln.
Sascha wusste sofort, woher der Wind wehte: Kateryna wollte eine sturmfreie Bude, damit sie sich mit ihrem Liebhaber vergnügen konnte, diesem Tony.
Pffft. Durch die geschlossenen Lippen stieß Sascha verächtlich Luft aus. Sie hielt nichts vom neuen Partner ihrer Mutter. Wehmütig dachte sie an ihre Kindheit auf der Krim und ihren Vater zurück. Sie waren eine glückliche Familie gewesen.
Doch dann hatte Kateryna begonnen, ihrem Mann Vorwürfe zu machen. Sie behauptete, er habe seinen Reichtum mit illegalen Methoden erworben und ließ sich scheiden.
Aber Sascha wusste es besser: Ihr Vater würde nie etwas Unrechtes tun. Sie hatte gehofft, mit ihrer Mutter in seiner Nähe bleiben und ihn oft sehen zu können. Kateryna hatte anders entschieden. Sie zog
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