Kurschattenerbe
wandte sich wieder an Sascha. »Hast du deswegen das Medaillon von deiner Mutter genommen?«
Das Mädchen hatte die Frage offenbar verstanden, denn es machte neuerlich Anstalten davonzulaufen. Kristl hielt sie am Arm fest. »Sascha, beruhig di. Der moant des nit beas.« Sie sah zu Lenz auf und zwinkerte ihm durch ihre Brillengläser zu. »Muasch vorsichtig sein, sie isch a bissl a Wilde«, sagte sie altklug und fuhr fort: »Die Sascha hat die Kett’n nit stehlen wollen, nur ausborgen. Wegen dem Bildele, des innet isch.«
»Es hab’s do deine Zeichnung, Krischtl. Wozu brauchsch ’n no a Bild?«
Das Mädl lachte und stieß seine Kameradin vertraulich an. Auch die grinste mit einem Mal. »Es ist wegen Auge.« Unvermittelt hatte Sascha zu sprechen begonnen.
»Genau«, bekräftigte Kristl. »Sie moant, des rechte isch zua. I bin mir sicher, es isch des linke.«
»Ni. Das rechte.« Saschas Grinsen war verflogen, zwischen den Brauen bildete sich eine Falte.
»Noa 3 , des linke.« Auch Kristl war ernst geworden und hatte die Hände in die magere Taille gestemmt. Mit einem Mal standen sich die beiden Mädchen nicht mehr wie Freundinnen, sondern wie zwei Kampfhähne kurz vor dem Angriff gegenüber.
Lenz wiegelte gerade ab, ob er einschreiten oder die beiden Kontrahentinnen die Sache unter sich ausmachen lassen sollte, da bemerkte er ein Auto. Lenz rückte seine Brille zurecht. Irgendwie kam ihm das Fahrzeug bekannt vor.
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1 ukrainisch: Nein
2 Südtirolerisch: neues
3 Südtirolerisch: Nein
FÜNFZEHN
Ich seh’ ein Tier
Mit riesigen Hufen und scharfen Hörnern.
Es will mich in den Boden stampfen
und durchbohren.
Den Schlund hat es weit aufgerissen,
als sei ich ihm zum Fraß bestimmt.
Schon nähert es sich meinem Herzen,
um mir den sich’ren Tod zu bringen.
Ich kann der Bestie nicht entfliehn.
Nach Oswald von Wolkenstein ›Ich spür ein Tier‹
Arthur Kammelbach streckte seine Hand aus. Seltsam, dass es hier so düster war. Er konnte das Bild kaum erkennen, das da im Atelier des Malers Peter Mitterer zum Greifen nahe vor ihm stand. Er hörte Schritte. Richtig, er war ja nicht allein hergekommen. Etwas kam ihm seltsam vor. Doch es war zu dunkel, er konnte zu wenig sehen. Er musste näher an das Bild heran. Es bewegte sich auf einmal von ihm fort. Wie von unsichtbarer Hand gezogen … Nein, dahinter stand jemand. Wer war das? Arthur konnte nichts erkennen.
Plötzlich spürte er einen stechenden Schmerz. Eisenzangen legten sich um seine Brust und schnürten ihm die Luft ab. Wasser, er brauchte dringend Wasser. Da, hier, das Glas.
Arthur griff danach. Auf einmal schwankte der Boden unter ihm. Die wenigen Gegenstände begannen, sich im Schummerlicht zu drehen.
Das Glas, endlich in seiner Hand. Zitternd führte es zum Mund. Es fiel zu Boden. Trübe ergoss sich die Flüssigkeit auf den kalten Stein. Wo war er? Das war nicht Mitterers Atelier mit seinem Holzboden, den Bildern und der Staffelei. Arthur konnte nur eine kahle Wand erkennen, auf die das Sonnenlicht, das durch eine Fensterritze hereindrang, einen dünnen Strahl warf.
Da, wieder der Schmerz. Arthur fuhr sich mit der Hand an sein Herz. Weiter an die Kehle. Luft, er bekam keine Luft mehr. Seine Knie gaben nach. Mit der freien Hand griff Arthur hinter sich. Eine Mauer, an der er zu Boden gleiten konnte. Er spürte Stroh. Woher kam das Stroh? Fallen, sinken, ins Stroh, fallen, schlafen …
*
Angestrengt beobachtete Lenz die beiden Gestalten, die dem Auto entstiegen waren. Er vermutete, dass es sich um Männer handelte. Mehr konnte er aus der Entfernung nicht erkennen. Sie näherten sich der Scheune am Fuße des Hanges und entschwanden seinem Blickfeld.
Lenz wandte sich den beiden Mädchen zu. Sie hatten ihren Streit so rasch begraben wie er aufgekeimt war. Einträchtig knieten sie nebeneinander im Gras. Sascha malte, während Kristl ihre Kommandos gab. »Na, schaug, die Locken muasch a bissl länger machen.«
Ganz klar, die beiden hatten sich wieder ausgesöhnt. Anscheinend hatten sie wirklich vor, das verschwundene Bild durch eine von ihnen angefertigte Kopie zu ersetzen. Was die Kunstwelt betraf, war das zwar ein vergebliches Unterfangen, aber zumindest ihren beiden Müttern würden sie damit eine Freude machen. Ganz besonders Kateryna wäre mächtig stolz auf ihre Tochter, wenn sie wüsste, wie die sich ins Zeug legte.
Es blieb zwar die Tatsache bestehen, dass Sascha das Medaillon ihrer Mutter entwendet hatte. Doch offensichtlich nur, um
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