Kurschattenerbe
des schweren Holztisches saß. Der Professor richtete seine Augen auf Franca.
Das hatte ihr gerade gefehlt. Es war unangenehm genug, dass sie der Bürgermeister gleich heute Morgen wegen der Zeitungsmeldung über das verschwundene Bild angerufen und zur Rede gestellt hatte. Es war ihr zwar gelungen, ihn einigermaßen zu beschwichtigen. Die Sache mit der Geige – prinzipiell eine Lappalie, doch im Zusammenhang mit dem Symposium gleichsam von staatstragender Bedeutung – beschwor den Unmut des Gemeindeoberhaupts neuerlich herauf.
»Wir müssen leider davon ausgehen, dass die Geige nach dem Konzert auf Schloss Tirol gestohlen wurde. Die Ermittlungen laufen auf Hochtouren«, sagte Franca so würdevoll wie möglich. Der Bürgermeister ließ sich nicht besänftigen.
»Auf Hochtouren, so, so. Na hoffentlich geht das diesmal schneller als beim Mitterer. Den Mörder habt’s ja immer noch nicht gefunden.« Der Bürgermeister knallte die Serviette auf den Tisch und blickte Beifall heischend über sein vermeintliches Bonmot in die Runde. Im Gegensatz zum Stadtrat, der eifrig murmelnd seine Zustimmung bekundete, schienen Professor Jungmann und Kateryna Maximowa eher peinlich berührt.
»Vielleicht könnten wir …«, schaltete sich die Ukrainerin ein, die bisher recht schweigsam gewesen war. Das durchdringende Läuten eines Mobiltelefons unterbrach sie. Franca erhob sich umgehend. Mit einem »Entschuldigen Sie, ein dringender Anruf« verließ sie eilig den Raum. Sie konnte nur hoffen, dass die Sache wirklich wichtig war. Immerhin hatte sie ausdrücklich Anweisung gegeben, sie nur in Ausnahmefällen zu stören. »Pronto«, meldete sie sich barsch.
»Aldo Klotz. Wir haben Professor Kammelbach gefunden und drei Personen festgenommen.«
Franca lehnte sich an die Mauerwand. Hatte sie richtig gehört? Kammelbach, das war doch der Kollege von Jungmann. Klotz sprach weiter: »Er ist offenbar entführt und in einer Scheune hinter Schloss Tirol festgehalten worden. Die Rettung hat ihn ins Krankenhaus gebracht. Wir haben zwei Männer festgenommen, quasi auf frischer Tat ertappt. Die Geige haben wir auch gefunden. Damit wurde der Professor niedergeschlagen.«
Franca hatte sich wieder gefasst. Immerhin, die Geige war gefunden worden. Dafür hatte sie eine Entführung am Hals. »Sie haben von drei Festnahmen gesprochen. Wer ist die dritte Person?«, blaffte sie Klotz an.
»Ah die, das war eine Frau. Sie hat sich nicht an unsere Anweisungen gehalten, ist einfach in die Scheune geplatzt und wollte sich auf das Entführungsopfer stürzen. Wir haben sie wegen Störung einer Amtshandlung festgenommen.«
Franca konnte einfach nicht glauben, was sie da hörte. Wie war die Frau überhaupt dorthin gekommen? Das musste Klotz ihr erklären. Im Moment hatte etwas anderes Vorrang.
»Wer sind die beiden Tatverdächtigen?«
Nachdem Klotz die Namen genannt hatte, betrat Franca die Stube.
»Meine Herren, Frau Maximowa. Wir haben soeben zwei Männer festgenommen, die im Verdacht stehen, Professor Arthur Kammelbach entführt zu haben.« Vier Augenpaare richteten sich auf Franca.
»Wer …«, setzte der Bürgermeister an, doch Franca sprach weiter.
»Bei dem einen handelt es sich um Beppo Pircher, den Reporter vom ›Meraner‹. Der andere ist Tony Perathoner, der …«
Ein Poltern am Kopfende des Tisches unterbrach Franca. Kateryna Maximowa war ohnmächtig zu Boden gestürzt.
*
»Der Patient hat eine Commotio cerebri und eine Vulnus lacero-contusum infolge eines stumpfen Anpralltraumas und leidet unter starker Exsikkose.«
Im Krankenhaus Franz Tappeiner in der Meraner Rossini-Straße saß Inspektor Marco Comploi dem diensthabenden Arzt in einem mit Akten vollgepackten Zimmerchen gegenüber. Der Mann im weißen Kittel hatte gerade die Diagnose in knappen und unverständlichen Worten von einem Klemmbrett abgelesen.
»Das bedeutet?«, fragte Comploi nun.
Der hagere Arzt, dessen Bartstoppeln und dunkle Augenringe darauf schließen ließen, dass er einen anstrengenden Nachtdienst hinter sich hatte, schloss kurz die Lider. Die rechte Hand hielt er an die Stirn, wobei er mit dem Daumen die Schläfe und mit dem Mittelfinger einen Punkt zwischen den Brauen massierte. »Professor Kammelbach hat einen Schlag auf den Kopf erhalten …«
»Ja, das ist bekannt. Aller Wahrscheinlichkeit nach mit der Geige, die wir in der Scheune gefunden haben«, unterbrach Comploi den Arzt. Der fuhr nun fort: »Der Patient hat eine leichte Gehirnerschütterung
Weitere Kostenlose Bücher