Kurschattenerbe
der Inspektor sich entfernte. Lenz streckte die Beine von sich. Es sah danach aus, dass er auf seinem unbequemen Sessel ausharren musste. Er wollte da sein, wenn Arthur aus dem Koma erwachte.
Zudem bestand ja immerhin die Chance, dass Jenny seine Nachricht abhörte und sich ins Krankenhaus begab. Obwohl Lenz, wenn er ehrlich war, daran zweifelte. Sie tat selten das, was andere ihr sagten. Wenn er allein an ihren Auftritt heute in der Scheune dachte …
Trotz des Ernstes der Situation konnte Lenz sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Das war wieder typisch Jenny gewesen. Sogar aus der Entfernung hatte er sie von seinem Beobachtungsposten am Hang aus erkannt und war deshalb den Serpentinenweg hinuntergelaufen. Im Näherkommen hatte er gesehen, dass einer der beiden Männer Inspektor Comploi war. Als die beiden mit gezückten Holzlatten auf die Scheune zugegangen waren, war Lenz sofort klar gewesen, dass eine Amtshandlung im Gange war. Augenblicklich stoppte er auf seinem Weg und blieb stehen. Nicht so Jenny. Sie folgte den Beamten bedenkenlos in die Scheune hinein.
Er selbst begab sich rasch wieder nach oben, wo die beiden Mädchen gerade ebenfalls Anstalten machten, den Hang herunterzulaufen. Kristl schärfte er ein, sich umgehend zu ihrer Mutter in das nahegelegene St. Michaela zu begeben. Gemeinsam mit Sascha radelte er zurück.
Nachdem er das vollkommen verstört wirkende Mädchen wohlbehalten im Grand Hotel abgeliefert hatte, machte er sich auf die Suche nach Jenny. In ihrem Hotel war sie nicht. Auf dem Kommissariat wollte man ihm keine Auskunft erteilen. Schließlich fuhr er mit dem Rad zum Krankenhaus. Dort würde er zumindest in Erfahrung bringen können, wie es Arthur inzwischen ging.
Kaum langte er dort an, kam ihm Comploi entgegen. Professor Kammelbach sei kurz bei Bewusstsein gewesen und habe ein paar Worte gesprochen, mit denen der Inspektor nichts anfangen konnte. Ob der Herr Hofer, der den Professor ja besser kenne, vielleicht schlau daraus würde? Der Polizist hatte Lenz den Notizzettel gereicht.
›Es ist das Rechte, das Rechte …‹
Lenz konnte zunächst nichts damit anfangen. Bis im plötzlich der Streit der beiden Mädchen einfiel. Sie hatten sich nicht darüber einigen können, welches von Oswalds Augen geschlossen war. Hastig versuchte er sich das Porträt in Erinnerung zu rufen. Gerade in letzter Zeit hatte er das Bildnis häufig zu Gesicht bekommen. Das Oswald-Porträt zierte das Programm des Symposiums und war auf sämtlichen Plakaten, die für die Konzerte warben, zu sehen.
»Es ist das rechte Auge. Oswalds rechtes Auge ist geschlossen!«
Erst an Complois verständnislosem Blick bemerkte Lenz, dass er seinen Gedanken laut ausgesprochen hatte. Daher beeilte er sich, dem Beamten zu erklären: »Ich nehme an, Professor Kammelbach hat von Oswalds Porträt gesprochen. Darauf ist das rechte Auge des Sängers geschlossen. Man nimmt an, dass es sich um einen Geburtsfehler handelt. Wir haben das Motiv bei allen Drucksorten für das Symposium verwendet. Arthur hat wohl von dem Porträt geträumt …«
»Oder von dem Bild, das beim Mordopfer gestohlen wurde.« Comploi sprach den Satz in Lenz’ Überlegungen hinein.
Lenz stutzte. »Sie meinen, Arthur könnte das Bild gesehen haben?«
Comploi blickte ihn ernst an. »Die Haushälterin gibt an, dass Peter Mitterer am Vorabend des Mordes zwei Gäste hatte. Einer davon könnte Professor Kammelbach gewesen sein.«
»Und der andere?«
Comploi stützte sein glattrasiertes Kinn in die Hand und legte nachdenklich den Zeigefinger an die Lippen. »Das Beste wäre, Professor Kammelbach könnte uns das selbst sagen«, meinte der Inspektor schließlich. Dann begab er sich wieder in Richtung des Krankenzimmers, vor dem ein Uniformierter Wache hielt. Comploi war im Begriff, die Schwester anzusprechen, die gerade aus dem Raum kam. Doch sein Mobiltelefon läutete. Lenz beobachtete, wie sich die Miene des Inspektors zunehmend verfinsterte. Der Beamte trat auf ihn zu.
»Kommissar Klotz hat mich gerade angerufen. Frau Maximowa ist mit ihrem Anwalt aufs Kommissariat gekommen. Er bestand darauf, dass die Verdachtsmomente gegen die beiden Inhaftierten nicht ausreichend seien.«
»Was ist passiert?« Lenz konnte seine Anspannung nur mit Mühe zügeln.
Comploi zuckte resigniert die Schultern. »Tony Perathoner und Beppo Pircher wurden freigelassen.«
Kaum hatte der Inspektor sich abgewandt, zückte Lenz sein Handy. Egal, ob Perathoner, Pircher oder jemand
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