Kurschattenerbe
Zumindest hatte er ihr – im Gegensatz zu Beppo und Tony – keine Handschellen angelegt.
Wenn sie an die beiden dachte, überkamen sie Zweifel. Zwar hatte sie mit Tony so gut wie nichts zu tun gehabt, dafür mit Beppo umso mehr.
Irgendwie wollte ihr die Sache nicht so recht in den Kopf. Beppo hatte so gar nicht den Eindruck eines Entführer oder vielleicht sogar eines Mörders gemacht. Viel eher den eines Reporters auf der Spur einer heißen Story …
Andererseits – was wusste sie von Verbrechern? Bisher hatte sie erst einmal mit einer ungesetzlichen Tat zu tun gehabt, als im Vorjahr auf Runkelstein die Handschrift gestohlen worden war. Doch das war verglichen mit dem Verdacht, der jetzt im Raum stand, harmlos gewesen. Allem Anschein nach hatte Tony, anstatt Peter Mitterer das Geld zu übergeben, den Maler erschlagen und das Bild an sich gebracht – wohl mit dem Ziel, es selbst zu verkaufen und die Summe einzustreifen.
Warum er sich zu einer solchen Tat hatte hinreißen lassen, war völlig offen. Klotz und seine Leute würden das zweifellos herausbekommen und Tony seine gerechte Strafe erhalten.
Wer Jenny leidtat, war Kateryna. Sie mochte nicht glauben, dass die Ukrainerin mit ihrem Manager unter einer Decke steckte. Es hätte überhaupt keinen Sinn ergeben. Im Gegenteil – für die Frau musste es sicherlich eine große Enttäuschung sein zu erfahren, dass ihr Geliebter ein Schwerverbrecher war.
Fragte sich nur, warum er Arthur entführt hatte. Jenny konnte es sich nur so erklären, dass der Professor Tony beobachtet und ihn zur Rede gestellt hatte. Der wiederum hatte kurzen Prozess gemacht, Arthur niedergeschlagen und ihn in der Scheune gefangen gehalten – zweifellos mit dem Ziel, ihn bei nächster Gelegenheit um die Ecke zu bringen.
Jenny schauderte. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn sie und die Polizisten heute nicht genau in dem Moment aufgetaucht wären, in dem die beiden Männer sich über Arthur gebeugt hatten.
Was Beppo mit der ganzen Angelegenheit zu tun hatte, darauf konnte sie sich allerdings keinen Reim machen. Wenn er in die Sache verwickelt war, welches Interesse konnte er daran haben, die Meldung von dem gestohlenen Bild in die Zeitung zu bringen? Naheliegender wäre es gewesen, Marthas Geständnis so lange wie möglich geheim zu halten – und Jenny auf der Rückfahrt klammheimlich abzumurksen …
»Schluss damit!« Jenny ermahnte sich lautstark. Die Spekulationen führten zu nichts. Alles war jetzt Sache der Profis – auch wenn diese sich bisher nicht gerade mit Ruhm bekleckert hatten. Doch Jenny fand, dass man der Polizei keine Vorwürfe machen konnte. Wie hätten die Beamten ahnen sollen, dass es zwischen dem Mord, dem Bild und Arthur Kammelbach einen Zusammenhang gab?
Der Professor war vielleicht der Einzige, der überhaupt Licht in die ganze Angelegenheit bringen konnte. Er würde mit Sicherheit wissen, warum er den Zeitungsbericht über den Mord aufbewahrte. Vermutlich auch, wer ihn niedergeschlagen und eingesperrt hatte.
Ob Arthur wieder bei Bewusstsein war? Am besten, sie fuhr ins Krankenhaus. Da würde sie am ehesten in Erfahrung bringen, wie es ihm ging. Vielleicht ließ man sie sogar zu ihm. Immerhin hatte er ihr seine Rettung zu verdanken. Das sollte ein ausreichendes Argument sein. Denn ein Verwandtschaftsverhältnis, wie es in solchen Fällen vom Krankenhauspersonal gemeinhin gefordert wurde, konnte sie nicht vorweisen.
Entschlossen ging Jenny ins Badezimmer. Sie würde eine Dusche nehmen, sich umziehen und sich auf den Weg ins Krankenhaus machen. Als sie die Bluse aufknöpfte, klingelte ihr Handy.
*
Lenz Hofer ließ es zum wiederholten Mal läuten. Die Mobilbox schaltete sich ein.
»Komm bitte ins Krankenhaus. Wart ich dort auf dich.« Er hatte sich für eine einfache Botschaft entschieden. Die konnte sie unmöglich missverstehen. Er hoffte, dass sie ihre Mobilbox bald abhörte und sich auf direktem Weg zu ihm ins Krankenhaus begab. Hier wollte er ihr erklären, was sich inzwischen ereignet hatte. Zunächst ging es darum, sie aus der Gefahrenzone zu bringen – wo immer sie sich gerade aufhielt.
Auf dem Kommissariat war sie nicht mehr, das hatte ihm Comploi gesagt. Gerade kam er wieder den Gang entlang. Lenz erhob sich von dem Sessel, auf dem er saß. Der Beamte schüttelte mit trauriger Miene den Kopf. »Professor Kammelbach ist nicht wieder zu Bewusstsein gekommen.«
Enttäuscht ließ Lenz sich wieder auf seinen Sitz sinken, während
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