Kurt Ostbahn - Blutrausch
Klavierspieler verliebt. 1972 wurde geheiratet, im sei-ben Jahr kamen die Zwillinge zur Welt, Sarah und Gilbert. Zwei Jahre später war Bert vom Jazz auf Werbe-Jingles gekommen, aber davon konnte man leben. Und dann ging er eines Sonntag morgens Zigaretten holen und kam nicht wieder. Er hat am Heimweg vom Zigarettenautomaten einen Bus übersehen, und der trennte Bert den Kopf ab.
Ich weiß nicht, ist es der Wein oder liegt es daran, daß ich in den letzten Tagen eine - zumindest für einen Urlauber - ziemliche Fülle an nicht ganz streßfreien Begegnungen und Erlebnissen hatte, aber in meiner Erinnerung klafft, in Bezug auf Marlenes Biografie, ein schwarzes Loch von mindestens zehn Jahren.
Es ist angeräumt mit Bilderblitzen von Tiefkühltruhen, Whitney-Houston-CDs, Elefantenköpfen, perforierten Brustwarzen, speckigen Lederjacken, Don-Johnson-Doubles, Blut.
„Was ist es?“ höre ich Marlenes Stimme.
„Was?“
„Was bedrückt dich?“
„Nixnix.“
„Rede ich zu viel?“
„Es is nix“, sage ich. „Nur das Alter. Das viele Essen. Kein Kaffee.“
Marlene lächelt mich an und nimmt meine Hand.
„Vielleicht später“, sagt sie. „Ich höre dir gerne zu.“
Ich habe plötzlich das Gefühl, daß Marlene viel besser Bescheid weiß als ich. Vielleicht nicht über den Tod vom Rudi und vom Wickerl und den Schlächter von Sechshaus. Aber über mich. Zum Beispiel.
Und das Schlimme daran ist, daß mich das garnicht stört.
„Letzte Nacht warst du an der Reihe“, sagt sie. „Und heute möchte ich dir etwas zeigen.“
Es ist zirka doppelt so groß wie mein Elendsquartier in der Reindorfgasse, in freundlichen Pastellfarben tapeziert, und sämtliche Elektrogeräte, von der Trockenhaube im Bad bis zum CD-Player mit Fernbedienung funktionieren einwandfrei.
Willie Nelson singt“Whisky River don’t run dry“. Und angesichts der mobilen Hausbar, die neben einem Sortiment an Scotch und Bourbon auch den feinen irischen und den mir nicht so geläufigen kanadischen Whisky führt, mache ich mir darüber keine ernsthaften Sorgen.
Marlene und ich testen in der lachsfarbenen Sitzgruppe im Wohn- und Arbeitszimmer ihrer Suite einen fünfzehn Jahre alten Canadian Club . Vielleicht liegt es an den Bleikristallgläsern, vielleicht an Marlenes Nähe, jedenfalls habe ich noch nie im Leben eine solch köstliche Kostbarkeit getrunken.
Für Marlene ist das Alltag. Sie kann, wenn ihr der Sinn danach steht, die gesamten Canadian Club -Vorräte des Hauses ordern und aussaufen, denn schließlich gehört ihr der Laden. Oder zumindest ihrem Mann.
„David kauft Hotels“, hat sie mich vorhin im Lift aufgeklärt, nachdem sie im Foyer vom Nachtmanager mit einer devoten Freundlichkeit empfangen worden war, die er garantiert nur bei staatstragenden Gästen raushängen läßt.
Madame Thompson hin, Madame Thompson her, haben Madame noch einen Wunsch, wünsche Madame wohl zu ruhen. Und das auf französisch.
Mister Thompson erledigt seine Hoteleinkäufe von seinem Schreibtisch in Quebec aus, die meisten der 144 Häuser, die er sich im Laufe eines langen, arbeitsreichen Lebens angeschafft hat, kennt er nicht einmal persönlich. Ihm reichen die Auslastungsquoten und Bilanzen, und eine repräsentative Frau, die acht Monate im Jahr die Welt bereist, in seinen Häusern logiert und die viele Freizeit damit verbringt, mit alten Standuhren zu handeln.
Das Palace ist seit vier Jahren Teil des Thompson-Imperiums. Wenn sich der Geschäftsgang nicht bald drastisch verbessert, wird es der alte David im nächsten Jahr abstoßen, an die Japaner oder an einen Scheich.
Marlene bleiben dann immer noch 143 Paläste auf drei Kontinenten, in denen sie gratis Canadian Club trinken kann. Allein.
„Weißt du, was geschehen ist?“ sagt sie, als ich mit dem Glas in der Hand in der Tür zum Badezimmer stehe und drei Marlenen dabei zusehe, wie sie vor den getönten Spiegelfliesen aus ihren jadegrünen Kostümen steigen.
„Nicht genau“, sage ich.
Die drei Sensationen tragen jadegrüne Unterwäsche, aber nur eine sagt:
„Ich habe mich verliebt. Und das ist nicht gut.“
17
Das Leben ist bekanntlich ein Hund. Also gönnt es mir nach einer langen Nacht in Marlenes Pastell-Palast, die nach einem üppigen Frühstück bis in den späten Nachmittag hinein prolongiert wurde, keine Stunden der Einkehr und Besinnung.
Konträr: von unserem Refugium jenseits von Zeit und Raum verschlägt es mich, nach kurzem Zwischenstop in meiner bescheidenen Hütte, in die
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