Kurt Ostbahn - Kopfschuss
dem? Wie erkläre ich mich? Oder ist es dann für Erklärungen ohnehin zu spät?
Ich meine, er mag vielleicht nicht mehr in der Oberliga killen, aber in mir hat er nicht einmal einen anständigen Sparring-Partner. Ich wäre ein Jausengegner.
Und wer mag das sein? Ehrlich.
21. DOS BURROS,
MEXICO
Die Stunden ziehen wie Wolken aus feinster Zuckerwatte über den tiefblauen Himmel. Und die Luft schmeckt süß, wie auf den Rummelplätzen, die ich als Kind mit meinem Großvater besucht habe. Der Opa hat für Oma rote Papierblumen geschossen und ich hab mir an den kandierten Früchten und gerösteten Nüssen die ersten Plomben ausgebissen.
Und Jahre später dann die Zähne an den gleichaltrigen Mädchen, die immer zu zweit oder zu dritt und immer mit großen Maschen im Haar und wippenden Röcken auf der Suche nach Grünschnäbeln waren, die sie für ein viel versprechendes Lächeln auf eine Fahrt mit dem Sturmboot einluden oder auf eine Runde in der Hochschaubahn. Dann kam meist der große Bruder, eventuell auch in Begleitung von zwei noch viel größeren Cousins. Sie luden die Schönen auf ihre Motorroller und fuhren mit ihnen davon, ins Kino oder auf ein italienisches Eis oder an einen geheimnisvollen Ort namens Hula Hoop oder Chatanooga, wohin viele ältere Brüder oder Cousins mit ihren Rollern ihre kleinen Schwestern ausführten und wo die Mädchen dann bei schummriger Beleuchtung und abstoßend lauter Negermusik unaussprechliche Dinge taten. Eines der beliebtesten Geheimworte für ihr wüstes, sittenloses Treiben hieß in diesen Tagen: Zungenkuss.
Als ich aus der Vergangenheit in Hondos Hütte zurückkehre, ist der alte Mann nicht da. Ich krieche hinaus ins Freie und es ist schon wieder Nacht. Hondo steht da, auf seinen Spazierstock gestützt, und lauscht hinaus in die schwarze, Angst einflößende Stille der Wüste.
„Sie kommen“, sagt er nach einer Weile.
„Wer?“
Hondo fordert mich mit einer gebieterischen Geste auf, den Mund zu halten, und horcht weiter in die Nacht. Ich kann nichts hören, absolut nichts, außer dem tosenden Sturzbach in meinen Ohren und dem Hämmern der Maschine, die das Blut durch meinen Körper pumpt.
„In einer halben Stunde werden sie hier sein“, meint Hondo schließlich und kehrt in die Hütte zurück, wo ein großer Topf seines ebenso scheußlichen wie unwiderstehlichen Wüstensüppchens auf der Feuerstelle köchelt. „Sie kommen früher, als ich dachte.“
„Sie erwarten Gäste?“, frage ich.
„Freunde“, sagt Hondo. „Ramon, die Junkyard Angels und ihre conchitas. Um Mitternacht beginnt der Día de los Muertos, und den feiern sie jedes Jahr bei mir in Dos Burros.“ „Nun, dann sollte ich mich schön langsam auf den Weg nach Tres Cruces machen“, sage ich. „Ich bin zu der Party nicht eingeladen und wahrscheinlich sind Gringos dabei auch nicht erwünscht.“
Aber Hondo sieht das anders: „Gringos, die mit dem Puma, dem Adler und der Schlange sprechen, sind uns immer willkommen. Wie nennt ihr das? Esoterik? Das ist eine gute Sache. Ihr habt eure Erleuchtung in der Wüste und ich bekomme zum Beispiel Musik von James Brown. Apropos: Das Fest ist für Fremde nicht gratis. Aber mit noch einer Silberscheibe Musik und einem Satz Batterien bist du mit dabei.“
Wenn Hondo wüsste, dass in meinem Kofferraum ein Plastiksack mit zweieinhalbtausend Dollar in bunten, internationalen Scheinen liegt und ich das Geld in Nuevo Laredo kassiert habe, um diesen Ramon zu töten, würde der alte Mann ganz anders sprechen.
„Ich muss darüber nachdenken, Hondo“, sage ich und gehe hinter die Hütte. Beim Pinkeln kommen mir oft die besten Ideen. Als ich vor dem zirka sechs Meter hohen Kaktus Wasser lasse, halte ich schnell Rücksprache mit Robert und John.
„Robert“, sage ich, „warst du nicht irgendwann, ist schon eine Weile her, zusammen mit John Wayne in einer ganz ähnlichen Situation? Du kriegst dein Opfer quasi auf dem Silbertablett serviert, aber du entscheidest dich dazu, die Gelegenheit nicht zu nützen, sondern auf die Chance zu einem fairen Zweikampf zu warten?“
„Keine Ahnung“, sagt Robert Mitchum. „Du weißt, mein Gedächtnis ist unterm Hund. Aber in deinem Zustand, mein Freund, wirst du keinen fairen Zweikampf kriegen. Du bist sozusagen bereits seit Stunden tot.“
„Danke, Robert“, sage ich. „Und was meinst du, John?“ „Blöde Frage“, sagt John Smith. „Schenk dem alten Apachen den Motown-Sampler und gib dir voll die Party mit den
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