Kurt Ostbahn - Kopfschuss
Angels. Jetzt Hals über Kopf abzuhauen, würde dich für diesen Ramon nur interessanter machen, als du bist. Er hat sicherlich längst spitzgekriegt, dass ihm ein bezahlter Gringo-Killer auf den Fersen ist. Drum bleib ganz so, wie du bist, dann fällt garantiert kein Verdacht der Welt auf dich. Übrigens, die Nummer mit dem Lama und der Schlange kommt echt cool.“
„Also ich bleibe“, sage ich zu Robert und John.
„Also ich bleibe“, sage ich ein wenig später auch zu Hondo. Fünfundzwanzig Minuten nachdem er mir das Kommen von Ramon und seiner Gang angekündigt hat, höre ich tatsächlich in der Ferne den Lärm vieler auffrisierter Motoren. Bald danach tauchen in der rabenschwarzen Nacht kleine weiße Lichtpunkte auf, die rasch größer und dann zu Scheinwerfern von etwa zwei Dutzend schweren Motorrädern werden. Ramon und die Junkyard Angels fallen nicht, wie man das aus Jack Nicholsons Lehr- und Wanderjahren als Motorrad-Rowdy kennt, mit bestialischem Geheul und mordlüstemer Miene in Dos Burros ein, ganz im Gegenteil, die Maschinen formieren sich und rollen dann in geradezu ehrfurchtsvoller Langsamkeit an Hondos Hütte vorbei. Der alte Mann nimmt mit der ihm eigenen königlichen Würde die Biker-Parade ab, während ich mich, neben dem Eingang der Hütte in eine Decke gehüllt auf dem Boden hockend, ziemlich unsichtbar mache. Nur hin und wieder ein freundliches Kopfnicken in Richtung der wirklich wild und gefährlich aussehenden Gesellen und ihrer weiblichen Begleitung auf dem Sozius. Keine zwei Stunden später ist in Dos Burros die Hölle los. Die Junkyard Angels haben die halb verfallenen Hütten bezogen, auf dem freien Platz zwischen den einstigen Baracken der Bahnarbeiter lodert ein gewaltiges Lagerfeuer mit Barbecue, Plastikkanister mit Tequila und Mezcal machen die Runde und dazu musizieren aus mindestens vier Tonquellen gleichzeitig die Allman Brothers, ein Tex-Mex-Ensemble von lokaler Bedeutung, Stevie Ray Vaughan und James Brown. Letzteren hat Hondo zusammen mit seinem Suppentopf und mir - dem Gringo, der schon seit zwei Tagen zu den Tieren spricht - in das Unterhaltungsangebot eingebracht.
Die Junkyard Angels und die Damen in ihrer Begleitung stellen sich, aus nächster Nähe am Lagerfeuer betrachtet, als eine Gruppe von stark tätowierten Menschen heraus, die weder Alter, Herkunft noch Hautfarbe verbinden kann. Denn unter den wüsten Wüstenrittern findet man einen texani-schen Kneipen-Pleitier tschechischer Abstammung ebenso wie einen wegen Bankraubes in Kalifornien verurteilten, aber flüchtigen Chicano aus Nogales. Und auch so manche Señorita ist keine solche, sondern - wie etwa Helen, die eigentlich Helene heißt - Ex-Bürgerin der ehemaligen DDR, der das Leben in Halle an der Saale ganz einfach nicht den Kick bieten konnte, den sie sich nach der Wende erwartet hatte. Und dann ist da Erzengel Ramon, dem mich Hondo sogar persönlich vorstellt. Wir schütteln einander die Hand, dann sitze ich dem uralten und dem jungen Gauner im Schein des Lagerfeuers gegenüber, sehe mir ihre Gesichter an, als sie leise und in einer mir völlig fremden Sprache miteinander reden, und weiß für einen Augenblick ganz genau: Hondo und Ramon sind ein Fleisch und Blut, sind Großvater und Enkel, Urgroßvater und Urenkel.
Aber ich weiß auch, dass ich sie jetzt nicht danach fragen werde. Ich werde mit Robert und John darüber nachdenken. Auch nicht jetzt. Später. Irgendwann später.
Denn jetzt setzt sich die anmutigste und schönste Frau zu Ramon und Hondo ans Feuer, die ich seit Silvias Tod, und der ist jetzt drei Jahre her, gesehen habe.
„Das ist meine Schwester Linda“, sagt Ramon.
„Und er ist der Gringo, der zu den Tieren spricht“, sagt Hondo.
„Hi“, sage ich.
Und Linda lächelt mich an, dass es keine zwei Minuten dauert, bis ich sie, ganz gegen meine Art, um einen Tanz bitte. „Kommt drauf an, zu welcher Musik“, sagt sie, weil momentan Fats Domino, die lokale Tex-Mex-Conjunto, B. B. King und Tito Y Tarantula dezibelmäßig schwer im Clinch liegen. „Wenn ich Sie so ansehe, Linda“, höre ich mich sagen, „dann würde ich sagen: B. B. King. Sweet Little Angel. Und wir hören beide nicht so genau auf den Text.“
„Einverstanden“, sagt sie, springt lachend auf und reicht mir die Hand.
Dass ich für den Tod ihres Bruders bereits das Akonto kassiert habe, spielt nach unserem ersten Tanz keine Rolle mehr.
Auch bei Mordaufträgen gibt es so was wie ein Rückgaberecht. Muss es geben.
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