Kurt Ostbahn - Peep- Show
Polifka, und danke für alles. Wir müssen jetzt leider weiter! Um elf, nicht vergessen ...«, beendet der Doc den neuesten filmhistorischen Exkurs und steht auf.
***
Der Trainer hängt wie ein nasser Fetzen in der Ecke, alle zehn Finger fest gegen die weißen Kacheln des großen Raumes gestemmt, und atmet tief durch. Sein wichtigstes Anliegen besteht momentan darin, das bißchen Nahrung, das er seit seinem unerfreulichen Erwachen zu sich nehmen konnte, nicht gleich wieder loszuwerden. Außer ihm halten sich nur zwei Lebende an dieser Stätte des Grauens auf - und die haben Besseres zu tun, als sich um ihn zu sorgen.
Trash und seine Herzensdame (anders kann man das wirklich nicht nennen, bei dem Gesichtsausdruck, den der Doc bei ihrem Anblick aufgesetzt hat), das entzückend honigblonde Fräulein Doktor Messeritsch, stehen am anderen Ende des Saales, über einen Tisch gebeugt, und unterhalten sich angeregt. Der Trainer will gar nicht wissen, worüber ...
Er hat ja gleich Übles geahnt, als sein kriminalistischer Mentor nach der Befragung des Polifka für und einem kurzen Zwischenstop beim Würstlstand entschlossen verkündete: »So, und jetzt fahren wir zur Bettina, weil uns nur die mit unserem chiropraktischen Problem weiterhelfen kann.«
Ein Taxi lud die Herren vor dem Allgemeinen Krankenhaus ab, und es dauerte keine halbe Stunde (unter Mißachtung sämtlicher bunter Bodenmarkierungen, nur so kommt man dort wohin), bis sie ihr Ziel erreicht hatten: die Prosektur.
Schon beim Eintreten in den nach Formalin, Verwesung und Wunderbäumen stinkenden Saal krampfte sich des Trainers ohnehin empfindlicher Magen zusammen. Der Anblick der Stahltische mit ihren Blutrinnen, die nur teilweise zugedeckten Körper und die Präparate, die in großen, häßlichen Einsiedegläsern auf ihren Abtransport in irgendein Horrorpanoptikum warteten, konnte den ersten Eindruck nicht verbessern.
Richtig schlimm wurde es aber erst, als der Doc schnurstracks auf Bettina, den fürsorglichen Engel aus der Kirchengasse, zustrebte und den Trainer am Arm hinter sich herzog. Die Pathologin stand in ihrer Dienstkleidung - grüne Schürze, Plastikhäubchen und Gummihandschuhe — vor einem Seziertisch, auf dem die Leiche einer mittelalten, übergewichtigen Frau mit weit auseinanderklaffendem Brustkorb weiterer posthumer Demütigun-gen harrte. Als der Trainer die inneren Organe der Unglücklichen sah, die in rostfreien Schüsseln rund um den Tisch verteilt waren, wurde ihm schwarz vor Augen, und er konnte sich kaum noch auf den Beinen halten.
Nicht so Dr. Trash, dem anscheinend kein Greuel dieser Welt fremd ist. Er begrüßte seine Vertraute mit einem scheuen Kuß auf die Wange und betrachtete dann angelegentlich ihr Untersuchungsobjekt. »Schädeltrauma?« fragte er nach kurzer Inspektion. »Werden wir gleich sehen«, antwortete Bettina mit einem feinen Lächeln und begann der toten Dame die Gesichtshaut abzuziehen. In dem Augenblick trat der Trainer die Flucht an. Das Geräusch der elektrischen Knochensäge hörte er Gott sei Dank nur mehr aus weiter Ferne.
»Des wär ned notwendig gewesen«, sagt er geraume Zeit später vorwurfsvoll, als der Doc und Bettina — letztere mittlerweile in Zivil — auf ihn zukommen.
»Sei nicht immer so angrührt«, rügt ihn sein herzloser Partner. »Es gibt Schlimmeres.«
Der Trainer kann sich zwar nicht vorstellen, was, aber er beschließt, großzügig darüber hinwegzugehen. »Und, wie schau ma aus?«
»Alles erledigt!« strahlt ihn die blutige Blondine an. »Da ich den Primar Beinhauer von einem Kongreß kenne, hab ich ihn einfach angerufen und gesagt, die Horvath wäre jetzt meine Patientin ... was ja irgendwie auch stimmt. Die Arme hat an einem Pulposus- oder Bandscheibensyndrom gelitten, sehr schmerzhaft und äußerst schwer zu behandeln. Neben einer Spritzenkur hat er ihr Streckübungen verschrieben — Klimmzüge zur Dehnung der Wirbelsäule. Er hat sich noch erinnert, daß die Patien-tin gemeint hat, sie könne diese Übungen sogar während ihrer Pausen am Arbeitsplatz durchfuhren.«
Der Doc reibt sich die Hände und grinst zufrieden wie eine Katze, die sich gerade den Goldfisch aus dem Glas geschnappt hat. Anscheinend hat sich wieder eine seiner Theorien bestätigt, aber mit denen rückt er ja immer nur im dramaturgisch richtigen Moment heraus.
»Übrigens«, meint Bettina, »mit der Gerichtsmedizin hab ich heute auch telefoniert. Die konnten bei einer genauen Untersuchung des Wundkanals im Kopf
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