Kurt Ostbahn - Peep- Show
Blues«, »Red Roses For A Blue Lady« oder »Girl From Ipanema«, das Klavierspiel hatte durchaus internationales Niveau und wäre auch auf der einen oder anderen Dean-Martin-Platte nicht unangenehm aufgefallen.
»Was macht ein so begabter Mensch wie Sie in einer solchen Bar?« tönte es auf einmal verführerisch im Ohr des Trainers, der vor Schreck heftig zusammenzuckte. Anscheinend war Bettina endlich in Aktion getreten. Er drehte den Empfänger eine Spur leiser und spähte durch das künstliche Blätterwerk zur Wirkungsstätte des Künstlers.
Eine elegante Dame im kleinen Schwarzen lehnte lasziv am weißen Flügel. Die Pathologin aus der Kirchengasse hatte ihre honigblonde Kurzhaarfrisur mit einer Betty-Page-Perücke getarnt, eine schicke Designerbrille mit Fensterglas aufgesetzt und sich ein paar Krähenfüße und Kummerfalten ins Gesicht geschminkt, um älter zu wirken. Der Trainer ertappte sich bei dem Gedanken, daß Bettina auch in ihrer Maskerade absolut hinreißend aussah, und daß er sich spätestens seit der Nacht im Espresso Rosi so sehr zu ihr hingezogen fühlte, daß er kaum noch an seine Grazer Grazie denken wollte. Trainer, sagte er sich gleichzeitig vor, sei ausnahmsweise einmal vorsichtig ... die ist definitiv nicht dein Revier ...
Dietrich jr. sah das eindeutig anders. Er war von ihrem Auftritt und ihrem Anblick dermaßen verzaubert, daß er sein Set nach der zweiten Nummer kommentarlos unterbrach, um für Bettina allein seine strahlend weißen Zähne zu blecken.
»Tiefste Ergriffenheit, Gnädigste!« meinte er mit seinem anzüglichsten Grinsen. »Was Sie mir grad gesagt haben, ist Balsam für eine geplagte Musikerseele! Wenn ich einer so schönen Frau wie Ihnen Freude bereiten kann, ob mit oder ohne Klavier, bekommt selbst dieses trübselige Dasein einen neuen Sinn. Apropos: Was halten Sie davon, mich in meiner Pause auf einen Drink einzuladen?«
Bettina rang sich ein vielversprechendes Lächeln ab. Dann entschwand sie mit einem Hüftschwung, wie man ihn diesseits der Kinoleinwand so gut wie nie zu sehen kriegt, aus dem Blickfeld des Trainers zurück an ihren Tisch.
Knapp ein Dutzend goldener Evergreens später bat Sascha Delrue sein Publikum um eine kurze Pause und begab sich schnurstracks an Bettinas Tisch, wo ihn bereits ein extratrockener Martini (ein Glas Gin, über das der Mixer kurz den Vermouthkorken geschwenkt hat) erwartete. Der Trainer spielte in Gedanken so ziemlich alle Variationen durch, wie er der bezaubernden Bettina bei einem trockenen Martini begegnen würde, und fand Sascha Dietrichs Gesprächseröffnung vergleichsweise enttäuschend.
»Kommen Sie aus Wien?«
»Ich bin geborene Wienerin, ja. Aber ich lebe seit fünfzehn Jahren in Düsseldorf. Der Kontakt zu Wien ist seit dem Tod meiner Eltern völlig abgerissen. Jetzt bin ich geschäftlich hier, für drei Tage. Die Textilmesse ...«
»Ah, Sie sind in der Modebranche? Hab ich mir fast gedacht. Mode, Kunst, vielleicht Architektur. Auf jeden Fall etwas Musisches. Das sieht und spürt man sofort -also ich zumindest«, flötete der Tastentiger. Der Trainer mußte an seinen Besuch in Bettinas Totenreich denken und schmunzelte in sein Wodka-Tonic.
Mit dem zweiten Martini kam das Du-Wort, und Bettina legte einen Gang zu.
»Du hast wunderschöne, sensible Hände«, gurrte sie. »Richtige Künstlerhände.«
»Liegt in der Familie«, sagte Sascha.
»Mütterlicherseits?«
»Meine Mutter hat Geige gespielt. Sie war eine ganz besondere Frau. Irgendwie erinnerst du mich an sie ...«
»Tatsächlich?« sagte Bettina mit einem leichten Beben in der Stimme. Der Trainer mußte bewundernd feststellen, daß die Medizinerin eine wahre Doppelbegabung war. Ihre Vorstellung war absolut oscarreif.
»Und der Papa?« fragte sie, nachdem sie sich von Delrues Kompliment erholt hatte. »Hat er auch eine künstlerische Ader?«
»Mein Vater ist auf seine Art ein Genie. Eigentlich ist er Beamter, aber es gibt nichts auf der Welt, das er nicht reparieren könnte. Abgesehen von der Beziehung zu seinen Kindern, aber das ist eine andere Geschichte ... Na, er ist halt ein Bastelvirtuose, wenn du weißt, was ich meine. Vor allem, seit meine Mutter tot ist, verbringt er seine ganze Freizeit in der Werkstatt und konstruiert Dinge, die möglicherweise nützlich sind, die aber in Wirklichkeit kein normaler Mensch je braucht.«
»Faszinierend«, meinte Bettina.
»Bei weitem nicht so faszinierend wie du«, säuselte Sascha, um dann direkt zur Sache zu
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