Kurt Ostbahn - Peep- Show
Schauplatz der dramatischen Ereignisse ist das Hotel Kiwi, eine neunstöckige Bettenburg am Mariahilfer Gürtel, in deren Lounge Sascha Dietrich eben noch zur Happy Hour aufgespielt hat. Und jetzt, kaum daß die letzten Takte von »Smoke Gets In Your Eyes« verklungen sind, ist der Klavierhengst mit Bettina, seiner vermeintlichen Eroberung, auch schon unterwegs in eines der zirka neunhundert Zimmer der Vier-Sterne-Absteige.
Theoretisch wäre der Trainer drahtlos mit Bettina verbunden, durch ein James-Bond-Mikrophon in ihrer neoaztekischen Brosche, das ihnen der Doc mit auf den Weg gegeben hat. Aber seit Bettina und Dietrich jr. die Lounge in Richtung Lobby verlassen haben und er sich mit leichter Verzögerung an ihre Fersen geheftet hat, läßt der Empfang des angeblich von Secret Service, CIA, BKA, FBI, KGB und RTL getesteten Präzisionsgeräts mehr als zu wünschen übrig. Auf den ersten Metern drangen noch Wortfetzen der Belauschten aus dem Minikopfhörer ins Trainerohr, aber jetzt, als der Verfolger die riesige Empfangshalle mit den vier Liften erreicht, ist nur noch nervtötendes Rauschen zu hören. Von Bettina, dem Lockvogel, und Sascha Dietrich alias Delrue fehlt weit und breit jede Spur.
»Scheiße«, keucht der Trainer und meint nicht nur das für seinen großen Lauschangriff untaugliche Equipment, sondern auch die miserable Planung der gesamten Operation. Ursprünglich bestand seine Aufgabe darin, das Gespräch zwischen Bettina und dem tatverdächtigen Klavierspieler abzuhören, die beiden nicht aus den Augen zu lassen und im Ernstfall rettend einzugreifen.
Genau dieser Ernstfall ist nun eingetreten. Aber ohne genaue Kenntnis der weitläufigen Örtlichkeiten kommt sich der Trainer selbst ziemlich hilflos und verloren vor. Außerdem, muß er sich eingestehen, sollte man Wodka-Tonic nicht runterschütten wie kleine Biere. Zumindest nicht im Mischungsverhältnis 2:1, und schon gar nicht auf leeren Magen. Wie man aus der Fahrschule weiß, beeinträchtigt der Konsum alkoholischer Getränke das Reaktionsvermögen. Und so muß sich der Trainer voll darauf konzentrieren, dem Hotelpersonal nicht unangenehm aufzufallen, als er quer durch die Lobby schwankt, mit motorischen Störungen, wie man sie sonst nur bei Matrosen sieht, die nach vielen Wochen auf See ihren Landurlaub antreten.
Drei der vier Fahrstühle sind unterwegs — und einer außer Betrieb. Der Trainer denkt nach, soweit das die vielen Wodka-Tonic während der Happy Hour zulassen:
Also, in welche Etage würde ich fahren, wenn ich Geheimagentin Bettina wäre, einem professionellen Witwentröster falsche Hoffnungen gemacht habe, über kein eigenes Zimmer in diesem Hotel verfuge, aber eigentlich sekündlich damit rechne, von meinem Ermittlungspartner aus dieser hochnotpeinlichen Situation befreit zu werden?
»Neun«, sagt der Trainer, als er endlich mit dem Grübeln fertig ist. »Neun. Und wieder retour. Das bringt entscheidende Sekunden.«
»Neunte Etage?« erkundigt sich geflissentlich der livrierte Liftboy, der dem Trainer zu Hilfe eilt, weil dieser schon eine ganze Weile orientierungslos den anderen Gästen im Weg steht. »Ninth floor, Sir? Und what room-number?«
»Egal«, sagt der Trainer.
***
Dabei hatte die Operation Kiwi Lounge so vielversprechend begonnen.
Kurz vor fünf war der Trainer auf seinem Posten - einem Nischenplatz mit Blick auf das Podium mit dem weißen Flügel. Und vor allem geschützt durch ein Arrangement tropischer Plastikgewächse. Er ließ seinen Blick zwischen den Blättern einer synthetischen Bananenstaude durch die Bar schweifen. Reifere deutsche und skandinavische Reisebus-Touristinnen saßen bei bunten Drinks, schrieben Ansichtskarten an die Lieben daheim oder hielten diskret Ausschau nach einem raschen, reschen Urlaubsflirt. Dabei blieb ihr Auge unweigerlich am Pianisten hängen.
»Sascha Delrue - Ihr musikalischer Begleiter durch die Happy Hour«, verriet das Schildchen, das im Rhythmus der Musik auf dem Klavier hin- und hertanzte.
Der Trainer nahm den Sohn des Dieter Dietrich genauer ins Visier: Smoking, Rüschenhemd, silbernes Mascherl und mit viel Pomade angeklatschte schwarze Haare. Der junge Mann machte auf schöner, armer Gigolo und sah für seine 24 Jahre ganz schön vom Leben gezeichnet aus. Aber wenn man ihm so zuhörte, wie er sich durch einen L’amour-Hatscher nach dem anderen arbeitete, konnte man ihm ein gewisses improvisatorisches Talent nicht absprechen. Ob »Spanish Eyes«, der »St. Louis
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