Kurt Ostbahn - Platzangst
Treppenabsatz stehen.
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Und auch der Doc ist nicht mehr, was er einmal war. Das ist mein erster Eindruck. Und der trügt bekanntlich nie.
Als ich vor einem dreiviertel Jahr das letzte Mal zu Gast in seiner Datenzentrale in der Kirchengasse war, goß es draußen zirka so wie heute, und des Gastes allererste Pflicht bestand darin, im Vorzimmer die nassen Straßenschuhe gegen Filzpantoffeln einzutauschen. Sein spiegelblank gewachster Parkettboden ging dem Doc damals noch über alles.
Heute öffnet er grußlos die Wohnungstür, deutet stumm und mit verbissener Miene in Richtung Arbeitszimmer und läßt meine Anfrage betreffs des Schuhwerks, mit dem ich in sein Allerheiligstes Vordringen darf, ganz einfach unbeantwortet.
Also lasse ich die dreckigen Treter an und folge ihm, kein gutes Gefühl im Magen, vorbei an bis zur Decke gestapelten Magazinen, kriminalistischer Fachliteratur und seiner Video-Sammlung ungekürzter Originalfassungen der übelsten Splatter-Movies der Filmgeschichte, an seine Wirkungsstätte, die beherrscht wird von einem Großrechner mitsamt Großbildmonitor, wie ihn der interessierte Laie eigentlich nur aus amerikanischen Großproduktionen wie zum Beispiel „Apollo 13“ (NASA), „Das Schweigen der Lämmer“ (FBI) oder „Independence Day“ (Pentagon) kennt.
Und als ich dem Doc im fahlen Licht des Monitors ins bleiche Antlitz blicke, ist da noch etwas, das so garnicht zu ihm paßt.
Der Doc hat rote Flecken im Gesicht.
Bei einem Menschen mit normalem Teint würden die vielleicht nicht so auffallen, aber wenn man zum leicht schütteren und streng nach hinten gekämmten schwarzen Haar eine würdevolle Albinoblässe trägt, die daher rührt, daß man das Sonnenlicht haßt und das Haus daher nur nach Einbruch der Abenddämmerung verläßt, springt das viele Rot auf Wangen und Stirn als bedrohliches Anzeichen von Krankheit oder Siechtum ins Auge.
Was hat der Mann? Scharlach? Die Masern? Gürtelrose?
Ich will das Gesprächsklima nicht mit einer besorgten Anfrage über seine Befindlichkeit vergiften, weil ich aus Erfahrung weiß, daß der Doc auf intime Fragen ziemlich unwirsch reagieren kann. Also bewundere ich seinen Gerätepark und erkundige mich mit möglichst viel Ehrfurcht in der Stimme, um wieviel Giga-Byte er denn die Denkleistung seiner Datenzentrale seit meinem letzten Besuch aufgestockt hat.
„Nur unwesentlich, angesichts der anstehenden Aufgaben“, sagt er, und damit ist das Thema vom Tisch.
Möglicherweise, denke ich mir, als ich in dem Ohrensessel Platz nehme, den mir der Doc mit einer stummen Geste zuweist, die keine Widerrede duldet, möglicherweise haben diese ungesunden roten Flecken mit meinem Besuch zu tun, dem ein Telefongespräch vorausging, dessen Verlauf mich hätte warnen müssen.
„Servas, Doc“, sagte ich vor zirka einer Stunde in das himmelblaue Dach des Chevy.
„Wer spricht?“
„Ostbahn.“
„Ahja.“ Schweigen. „Schön, wieder einmal von dir zu hören. Aber dein Anruf kommt gerade äußerst un-. . .“ „Tschuldigen die Störung, Doc, aber es gibt einen Notfall.“
Schweigen.
„Hast du schon versucht, den Trainer . . .?“
„Der Trainer is auf Urlaub, und außerdem glaub ich nicht, daß er der richtige Mann . . .“
„Also gut. Ich höre. Aber mach’s kurz. Ich bin, wie gesagt, ziemlich unter. . .“
„Okay. Folgendes. Wir haben eine Leiche, der Axel, der Ronnie und ich. Also ich weniger als die zwei. Aber nachdem ich zu ihnen in die Aufhofstraße gefahren bin und die Mumie gesehen hab, im Keller . . .“
„Auhofstraße?“ unterbrach mich der Doc und wollte auf einmal alles ganz genau wissen. „Welcher Keller? Welche Hausnummer?“
„238“, sagte ich.
„238. Auhofstraße 238? Bist du ganz sicher?“
„Ich war persönlich anwesend, Doc, und hab die Leich mit meinen eigenen Augen gesehen. Heut in der Früh, gleich nach dem Aufstehen.“
„Wann kannst du da sein?“ sagte der Doc und sein Atem ging plötzlich ruckartig, so als stünde er unter Hochspannung. „Sagen wir in einer Stunde. Aber pünktlich, wenns leicht geht“, drängte er. Und dann hörte ich ihn noch zu sich sagen: „Ich hab’s gewußt. Ich hab’s immer gewußt!“
Auf der schwarzen Arbeitsfläche neben dem Ohrensessel hat der Doc einen Packen Zeitschriften für mich vorbereitet. Er tippt mit dem fleckenlos bleichen Zeigefinger seiner Rechten auf das oberste Heft des Stapels: ein internationales Modemagazin, auf dessen Titelblatt einer dieser selbsthaftenden
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