Kurt Ostbahn - Platzangst
eine ganz besondere Note.
„Weg is er“, sagt sie nur.
Sollte sie den Blutfleck meinen, so kann ich das nicht bestätigen. Der schimmert immer noch, sehr blaß zwar aber unübersehbar, auf dem weißen Türstock.
„Was is’n da passiert?“ sage ich.
„Das Arschloch is weg“, sagt Gitti und bückt sich nach dem Lavoir.
„Der Walter?“ Und weil in mir angesichts des vielen Blutes ein leiser Verdacht hochkommt: „Freiwillig?“
Gitti schaut mich einen Augenblick irgendwie nachdenklich an. Dann lacht sie lauthals.
„Kommst rein auf ein Achtel?“ sagt sie und verleiht ihrer überraschenden Einladung Nachdruck, indem sie mit dem Lavoir in Richtung Wohnungstür deutet. Durch die heftige Geste schwappt das schaumige Blutwasser über den Rand auf den Steinboden, was Gitti mit einem knappen „Scheißdreck. Wurscht“ kommentiert.
„Naja“, sage ich, „ich muß früh ins Bett. Um acht kommt der Installateur.“
„Früh ins Bett?“ meint Gitti. „Es is halb drei vorbei.“
Daß ich nach den Dramen des Tages keine Lust verspüre auf noch ein Drama, und ein solches dürfte sich hier kürzlich zugetragen haben, sage ich nicht dazu. Andererseits: Wozu hat man Nachbarn, wenn man nicht bereit ist, ein Mindestmaß an sozialen Kontakten zu pflegen. Noch dazu in einer Ausnahmesituation wie dieser.
„Ich sag immer: Ein letztes Achtel vorm Schlafengehen hat noch keinem geschadet“, sage ich.
„Meine Rede“, pflichtet mir Gitti bei. „Aber wir müssen leise sein. Der Kleine schlaft.“
Ich lasse ihr mit dem Lavoir den Vortritt und stehe erstmals in der Küche der jungen Kaltenbecks, dem Schauplatz unzähliger nächtlicher Auseinandersetzungen, denen ich in den letzten Wochen akustisch beiwohnen durfte und die heute ein nicht unblutiges Ende gefunden haben.
Und dann bin ich sprachlos.
Denn die im Hause Kaltenbeck herrschende Sauwirtschaft wird überstrahlt vom exakten Ebenbild jenes Küchentraums, den ich am Vormittag gefunden und bereits wenige Stunden später schon wieder verloren habe, dem amerikanischen Einbaumodell in zartestem Pastell.
„Is was?“ erkundigt sich Gitti, die mein Staunen offenbar mißversteht. „Zum Aufräumen war keine Zeit. Aber nimm dir. Und schenk mir noch was nach.“
Auf dem Küchentisch stehen drei Babyflascherln und ein über quell ender Aschenbecher, zwei Bouteillen Rotwein und ein halbvolles Glas. Es parkt zwischen einer aufgeschlagenen Illustrierten (Pam Anderson: „Er tut mir weh! Aber ich liebe ihn trotzdem!“) und einem Versandhauskatalog von der Dicke des amtlichen Telefonbuchs.
„Frische Glasln sind da in der Abwasch“, sagt Gitti, die über dem Waschbecken eben ihre Gummihandschuhe abstreift. Die damit verbundenen schmatzenden Geräusche hätten in einer weniger blutigen Situation was durchaus Obszönes. Und die Bilderwelt des Frido Knapp jagt mir in einer schwarzweißen Stampede durch den Kopf, während ich Gitti Kaltenbeck beim Waschbecken ziemlich nahe komme, als ich mir eines ihrer sauberen Weingläser aus der Abwasch fische, aber vorsichtshalber noch einmal nachspüle.
Welche Rolle hätte ihr der Fotokünstler wohl in seinen frivolen Inszenierungen zugedacht? Gitti Kaltenbeck als Lady Godiva, splitternackt bis auf ein Paar schwarze Gummihandschuhe auf dem Rücken eines Araberhengstes? Gitti Kaltenbeck in ihrem Jumbo (Tumbo?)-Bademantel in einem weiß verfliesten Badezimmer auf dem Wannenrand sitzend; der Mantel klafft vorne weit auseinander und gibt den Blick frei auf ihre üppigen, leicht hängenden Brüste und die nackten Bauchfalten. Sie hält eine Dose Rasierschaum in der einen, ein aufgeklapptes Rasiermesser in der anderen Hand und blickt konzentriert und fest entschlossen an sich hinab auf das Dreieck aus schwarzen Haaren, das jetzt unter weißen Schaumflocken verborgen liegt.
„Schaust ins Narrenkastl oder träumst von heißen Eislutschern?“ höre ich Gittis Stimme, und als ich mich aus meinem leider noch in Bau befindlichen Badezimmer in die Realität der Kaltenbeck-Küche zurückzwinge, sitzt Gitti bereits am Küchentisch und hat sich selber nachgeschenkt.
„War ein harter Tag“, sage ich und setze mich mit meinem Glas ihr gegenüber. Gitti füllt es umgehend und mit geübter Hand mit dem günstigen Roten vom Billa, dem ich schon so manchen üblen Kopfschmerz verdanke. Sie prostet mir zu, mit leicht glasigem Blick und leicht verschwommenem Lächeln, und meint, daß sie ganz genau weiß, was ich meine, aber daß eigentlich nix dagegen
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