Kurt Ostbahn - Platzangst
gut drauf?“ raunt Axel seinem Kumpanen zu. „Is der auf Valium, oder was? Wann er in dem Tempo weitermacht, schaffen wir’s bis morgen Mittag mit viel Glück bis zur Kellerstiege.“
Ich mahne die Burschen mit strengem Blick zur Ruhe.
Die hält nicht lang. Ronnie klappert demonstrativ mit seinen Wagenschlüsseln und Axel murmelt, daß er weder mit noch ohne Schirm vorhat, hier am Gehsteig anzuwachsen, obwohl es mit Schirm um einiges gemütlicher wäre. Doch auch das holt den Doc nicht aus seiner Meditation.
„Vielleicht sollten wir dann schön langsam reingehen“, versuche schließlich ich mein Glück.
„Mein lieber Kurt“, sagt der Doc, ohne sich nach uns umzudrehen, „wenn man ein Verbrechen aufklären will, sollte man zuerst versuchen, diese Bluttat zu begreifen. Und dazu ist es unablässig, eine Beziehung zum Schauplatz aufzubauen. Dieser Ausbund an Häßlichkeit und architektonischer Selbstüberschätzung, vor dem wir hier stehen, kann uns einiges erzählen über das Wesen und den Charakter der Menschen, die hier leben oder gelebt haben.“
Mehr hat uns der Doc im Moment nicht zu sagen. Also traben wir schweigend, die Burschen mit den Schlüsseln voran, der Doc und ich hinterdrein, an der traurigen Silbertanne vorbei durch den Garten und die Kellertreppe hinunter zu dem unterirdischen Turnsaal, in dem Frido Knapp nicht nur fotografisch tätig gewesen ist.
Was ich dem Doc in aller Deutlichkeit sagen muß, ehe es zu spät ist: Ich bin nicht hier, um ein Verbrechen aufzuklären. Dazu fehlt mir erstens die Zeit und zweitens die Lust. Ich will nix anderes, als den Schaden, den Axel und Ronnie angerichtet haben, zu begrenzen. Ich will so schnell wie möglich wieder raus aus dem Kellerloch und dann aber wissen, was getan werden muß, um aus der Schußlinie fetischistischer Fotografen, dubioser italienischer Mokkatrinker oder krankhaft mißtrauischer Kriminalbeamten zu kommen.
Mehr will ich nicht.
Und dann stehen wir in dem kahlen Raum mit den gekalkten Wänden und den drei mit Schutzgittern versehenen Neonröhren an der Decke, und es stinkt immer noch nach kaltem Schweiß und alten Socken, und da sind die Verpackungskartons, die Heizungsrohre, die Stehlampe und die pastellfarbigen Reste der amerikanischen Einbauküche, in die ich mich am Vormittag verliebt hatte.
Nur von dem Loch in der Wand fehlt jede Spur.
„Scheiße“, sagt Ronnie.
„Weg“, sagt Axel.
„Das gibt’s nicht“, sage ich.
Nur der Doc sagt nix.
Er durchmißt den leeren Raum, blickt sich immer wieder um, fixiert Punkte an Boden, Wand und Decke und tippt dann mit der Spitze seines Regenschirms gegen einen großen dunklen Fleck an der Wand.
„Noch feucht“, sagt er. „Frisch verputzt. Ich vermute, hier. . .“
Axel und Ronnie sind vorsichtig nähergetreten, starren ungläubig die Wand an und erklären wild durcheinander, daß dort, wo jetzt ein feuchter Fleck ist, noch vor wenigen Stunden ein Loch in der Mauer war und man durch dieses Loch in eine Nische blicken konnte, in der eine mumifizierte Leiche lag. Sie bestätigen einander, daß sie im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte waren und weder unter dem Einfluß von Alkohol noch von halluzinogenen Drogen standen, als sie heute morgen ihre Entdeckung machten, und daß ich das bezeugen könnte, vor jedem Gericht der Welt.
„So ist es“, sage ich.
„Tatsache ist aber auch“, meint der Doc und stützt sich auf seinen Regenschirm, „daß es kein Loch mehr gibt.“
„Und also auch keine Leiche“, freut sich Ronnie.
„Was die Leiche angeht“, setzt der Doc ungerührt fort, „an deren Existenz ich übrigens keinen Moment gezweifelt habe, sieht die Sache etwas anders aus. Entweder man hat sie in ihrem garnicht kühlen Grab gelassen oder sie wurde aus dem Haus geschafft, ehe man das Loch wieder zugemauert hat. Insofern kommt Ihr freudiger Ausruf möglicherweise zu früh, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf. Es gibt sehr wohl eine Leiche. Nur, wir sehen sie nicht, weil sie entweder hinter dieser Wand verborgen ist oder aber an einen uns unbekannten Ort transportiert wurde.“
„Okay, Doc“, sage ich, „weil wir grad Haarspalterei betreiben: Was soll das mit dem garnicht kühlen Grab? “
„Gute Frage“, sagt der Doc und schenkt mir den Hauch eines wohlwollenden Lächelns. „Wie du weißt, ist das nicht mein erster Besuch in diesem Haus. Ich kenne die Örtlichkeiten. Und das Kellergewölbe, in dem wir uns befinden, besteht nicht nur aus diesem Raum. Gleich
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