Kurt Ostbahn - Platzangst
spricht, ihn entspannt ausklingen zu lassen, wir hätten doch alles, was man dazu braucht. Und dann bietet sie mir eine Memphis an.
Ich verscheuche nur mit Mühe ein neuerliches Knapp-Bild, das Gitti an der Zapfsäule einer BP-Tankstelle zeigt, im Kleppermantel, darunter nix als Strümpfe und Strumpfbandgürtel, und mit dem Anzünden einer Zigarette beschäftigt. Ich erzähle ihr, weil mir in meiner gedanklichen Notlage nix anderes einfällt, daß ich den harten Tag bereits im Rallye mit zwei Fernet auf Haus verabschiedet habe, trotz aller guten Vorsätze, nachdem der Herr Josef seinen derrischen Postler heimgeschickt hatte und bald danach auch die Burschen gegangen waren.
Gitti hat vollstes Verständnis.
„Ich kenn mich, und ich kenn meine guten Vorsätze“, spricht sie mir aus der Seele, „aber die zwei treffen sich einmal im Jahr. Am Silvester. Fünf vor zwölfe.“
„Und wie is das jetzt mit dir und dem Walter?“ sage ich, weil ich nahe dran bin, den Boden unter den Füßen zu verlieren, alles dreht sich und alles bewegt sich, und ich mit der Gitti allein in der Kaltenbeck-Küche, das ist eine hochexplosive Mischung, die, eng gesehen, im Fick des Jahres gipfeln könnte, auf lange Sicht aber nur nach hinten losgehen kann.
„Red ma über was anderes“, sagt Gitti und schenkt sich nach, um dann doch über den Walter zu reden, und zwar wie aufgezogen.
Daß der Walter Kaltenbeck, der in Gittis Geschichte ausschließlich als „das Arschloch“ oder „der Häuslratz“ durch die Handlung torkelt, im frühen Morgengrauen das Haus verlassen hat, weil für ihn im ehelichen Zuhause kein Morgenkaffee bereit stand, weiß ich aus eigener und bitterer Erfahrung. Wo und mit wem der Walter dann, in volltrunkenem Zustand, den er für gewöhnlich im ehelichen Doppelbett auszukurieren pflegt, den ganzen gestrigen Tag verbracht hat, weiß niemand so genau. So gegen 20 Uhr jedenfalls, gerade als Gitti Schluß machen wollte und die Mädchen von der Nachtschicht bereits da waren, ist er im Café Jacky in der Herklotzgasse aufgetaucht, an Gittis Arbeitsplatz also, dessen schwarz gestrichenes, rot beleuchtetes Portal den müden Wanderer mit sämtlichen Genüssen lockt, die ein Wiener Vorstadtpuff halt so zu bieten hat. In Wahrheit kann das Jacky die gegebenen Versprechen nicht einlösen, weil es kein Bordell, sondern bloß eine Tages- und Nachtbar ist, in der sich der Gast zu überhöhten Preisen betrinken kann, das jedoch in der Gesellschaft charmanter Damen wie zum Beispiel Gitti Kaltenbeck. Und wenn es im Separee jemals zu Intimitäten kommen sollte, dann weiß die Geschäftsführung natürlich nix davon. Die Mädchen haben ihre Anweisungen, wenn sie den Gästen jedoch ihre Sympathie und Zuneigung nicht nur verbal, sondern auch durch den Austausch von Zärtlichkeiten bekunden wollen, dann liegt es im Ermessen der Gäste, darauf mit einer angemessenen monetären Zuwendung zu reagieren. So oder so ähnlich läuft das im Jacky.
Der Walter Kaltenbeck war, als er gegen 20 Uhr das Lokal betrat, schon wieder oder noch immer betrunken, forderte von seiner Angetrauten öS 50.000.- sofort und in bar, und drohte lautstark damit, sich auf der Stelle umzubringen, wenn ihm Gitti das Geld nicht umgehend aushändigen sollte. Die konnte drüber nur lachen, weil mit 50 Flocken in der Tasche wär sie längst nicht mehr werktags täglich von 11 bis 20 Uhr im Jacky, um sich von gamsigen Rentnern ausgreifen oder von ebensolchen Bürohengsten in der Mittagspause bei, wenn’s hoch kommt, einer Flasche Piccolo über deren eheliche Sexflauten ansudern zu lassen. Mit 50 Flocken in der Tasche wäre Gitti Kaltenbeck längst ganz wo anders, über alle Berge nämlich, irgendwo, wo es warm ist und wo die Sonne scheint. Und zwar allein, ohne den Walter und auch ohne den Kleinen, aber um den macht sie sich keine Sorgen, der wäre in einem solchen, ohnehin nicht realistischen Fall, bei ihrer Schwester bestens aufgehoben.
Der Walter Kaltenbeck war mit dieser Absage nicht einverstanden, fing an zu brüllen und zu toben, bis ihn der Geschäftsführer unsanft auf die Straße setzte, weil sich Etablissements wie das Jacky mit randalierenden Gästen selbst besser zu helfen wissen als die Funkstreife.
Kurz vor zehn, Gitti hatte den kleinen Kaltenbeck eben ins Bett gebracht, rief der Walter an, von unterwegs, und bat sie in seinem seiernden Tonfall, den sie an ihm noch weniger ausstehen kann wie seine Angewohnheit, vorm Schlafengehen in der Küche ins
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