Kurt Ostbahn - Platzangst
Hasenöhrl da war, hat sich dann eine Frau gemeldet und wollt unbedingt den Walter sprechen. Sie hat nicht ‘Walter’ gesagt. Sie hat gesagt: ‘deinen Alten, die verbrunzte Sau’. Und wie ich ihr gesagt hab, der Walter ist nicht da, und wer denn eigentlich spricht, hat sie gesagt, daß sie ihm eigenhändig die Eier ausreißt und in den Arsch schiebt, wenn sie ihn in die Finger kriegt!“ Gitti überlegt und kichert dann. „Ich hätt der Alten sagen sollen, daß sie das ruhig probieren kann, aber so viel ich weiß, hat der Walter schon die längste Zeit keine Eier mehr. Aber solche Sager fallen einem immer erst nachher ein.“
Hört sich an, als hätte der Walter Kaltenbeck ziemliche Bröseln. 50.000.- minus, eine gebrochene Nasen, einen ausgeschlagenen Eckzahn und jetzt auch noch eine Damenbekanntschaft, die ihn seiner Männlichkeit berauben will. Da kann man fürwahr von einer ziemlichen Pechsträhne sprechen.
„Und du hast keine Idee, in was sich der Walter da hineingeritten hat?“ frage ich.
„Schulden hat er gemacht, bei den falschen Leuten. Und sich auf linke Hacken eingelassen, damit er die Schulden zurückzahlen kann. Aber er is ja ein Volltrottel. Sogar zum Scheißen zu blöd“, stellt Gitti ihrem Gemahl kein gutes Zeugnis aus. „Aber mir is lieber, ich weiß nix Genaues. Das is alles sein Kaffee. Den soll er ganz allein aussaufen.“
Eine kluge Haltung, von der ich mir ein Scheiberl abschneiden sollte. Denn in meinem Leben gehen nicht zum ersten Mal die Mörder ein und aus, machen sich die Mafia und sexuelle Deviationen breit, und ich bin immer für alles zuständig. Nehmen wir heute abend: Kaum daß sich die latente Bedrohung durch die Ehrenwerte Gesellschaft in Wohlgefallen auflöst, verdoppelt (oder vervierfacht?!) sich die Anzahl der Leichen innerhalb weniger Stunden.
„Ich hab den Kleinen zu meiner Schwester gebracht, weil man weiß ja nicht, was dem Trampel alles einfällt, wenn sie der Walter irgendwie gröber abgelinkt hat. Und ich will nicht, daß ihm was passiert, nur weil sein Vater ein Vollkoffer is.“
„Sehr vernünftig“, sage ich und würde mir eigentlich gern was Richtiges anziehen, aber Gitti hat eine noch viel bessere Idee:
„Du hast ja eine Gänsehaut, Kurtl. Schreckst dich so vor mir? Oder trinken wir noch ein Achtel vorm Schlafengehen? Aber bitte nicht bei dir heroben. Da holt uns ja der Eisbär. Ohne dem Kleinen können wir es uns bei mir im Wohnzimmer gemütlich machen.“
„Naja“, sage ich, weil ich mich nicht aufdrängen will, „eigentlich wollt ich nur noch schnell duschen und dann gleich ins Bett.“
„Hast jemand, der dir den Rücken einseift?“ grinst Gitti.
„Nein“, sage ich, „momentan hab ich nicht einmal ein warmes Wasser.“
„Das kann man ganz schnell ändern. Beides“, meint sie und zwinkert mir zu, daß ich ganz einfach nicht Nein sagen kann.
Was ich an Gitti Kaltenbeck immer mehr zu schätzen lerne, ist ihre Art, die Dinge beim Namen zu nennen, Gelegenheiten am Schopf zu packen und gradheraus zu sagen, wonach ihr der Sinn steht. Da gibt’s keine Tricks und keinen doppelten Boden. Dafür ein Herz aus Gold, und das am rechten Fleck. Und die Gitti ist kein Kind von Traurigkeit.
Was ihr fehlt, sind Raffinesse und ein zumindest ansatzweise guter Geschmack. Das denk ich mir jedenfalls, als sie mich mit einem launigen „Hereinspaziert“ in ihr Wohnzimmer führt, in dem es von allem, das ich nie in meinem Wohnzimmer haben wollte, viel zu viel gibt. Zu viele Plüschtiere, zu viele Fotos von Segelbooten im Abendrot in falschgoldenen Rahmen, zu viele bestickte Zierkissen auf dem Doppelbett, das eine Tagesdecke ziert, deren Design das Segelboot-im-Abendrot-Motiv um ein Dutzend Kokospalmen unterm Sternenhimmel ergänzt. Und dazu noch das Tapetenmuster: Orchideenartige Blüten von krautkopfartigen Dimensionen, in sämtlichen Farben gehalten, die beim erwachsenen Menschen in kürzester Zeit zu Schwindelanfällen und nachhaltigen Sehstörungen führen, beim Neugeborenen oder Kleinstkind aber mindestens zu Dauerdurchfall.
Ich beschließe, daß zumindest bei der Auswahl der Tapeten Walter Kaltenbeck federführend war.
Gitti fragt mich, Gottlob, nicht, wie es mir bei ihr gefällt, sondern drückt mir ein Achtel Rot in die Hand und stößt mit mir an:
„Auf bessere Zeiten und wärmere Winter, Kurtl. Und ich freu mich, daß du da bist.“
„Auf die Nachbarschaft“, sage ich und weiß im selben Augenblick natürlich wieder alles. Zum Beispiel,
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