Kurt Ostbahn - Platzangst
seinen Opfern eine Art Survival-Kit mit auf ihre letzte Reise gegeben“, meint der Doc. „Und ich muß zugeben, dieser menschenverachtende Zynismus, der hinter seiner Auswahl an Grabbeigaben steckt, läßt mich nicht ganz unbeeindruckt.“
„Grabbeigaben“, nickt Brunner. „Genau so seh ich das auch. Unser Mann bringt nicht einfach jemand um. Unser Mann läßt sterben. Nach einem ganz bestimmten Ritual. Und delektiert sich dran.“
Ich sage vorläufig garnix, weil mir bei der bloßen Vorstellung einer solchen Bestattungszeremonie die Luft wegbleibt und das Ham and Eggs, mit dem ich mich beim Quell-Poldl für diesen Dreiergipfel im Hause Trash gestärkt habe, dringend einen Weg nach draußen sucht.
Wir tagen jetzt noch keine halbe Stunde, und schon hat Brunner mit seiner Inventarliste meine schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Da ist seit Jahren still und leise ein Frauenmörder am Werk, völlig unbehelligt von der Exekutive, und ausgerechnet mein Bautrupp und ich stolpern über sein jüngstes (?) Opfer.
Meine zweitschlimmste Befürchtung galt nicht so sehr den abscheulichen Verbrechen, als vielmehr den ermittelnden Personen: Von mir weiß ich, daß ich, wenn’s hart auf hart geht, mit so ziemlich jedem kann. Wie aber der unter Pensionsschock stehende und mit seinem Scharlachberg -Problem ringende Brunner auf einen aus den Fugen geratenen Doktor Trash reagieren würde und umgekehrt, das machte mir bis vor einer halben Stunde ziemliches Kopfzerbrechen. Aber, Gottseidank, macht der Doc heute einen seelisch einigermaßen gefestigten Eindruck (keine roten Flecken mehr!), und ich glaub sogar zu erkennen, daß Brunners Verve und fachliche Kompetenz auf den angeknacksten Privatgelehrten eine beruhigende, entspannende Wirkung haben.
Nur ganz zu Beginn unseres Gipfeltreffens, als ich etwas verspätet in der Kirchengasse eintraf, zog sich Brunner einen Giftblick des Doktors und ein galliges „Ganz wie Sie meinen!“ zu, indem er uns den Vorschlag machte: „Also das ganze Doktor-Hin-Doktor-Her, das is nix. Ein Doktor in der Familie reicht, würd ich sagen. Und drum bleiben Sie der Herr Doktor, Herr Doktor, Sie sind bei mir der Herr Dresch, und ich bin der Franz. In Ordnung?“
Mittlerweile hat Brunner ein nächstes Blatt Papier aus seiner antiken Aktentasche gezogen, der Doc ist auf seinem rollenden Drehsessel quer durch die Kommandozentrale zu Brunner in seinem Fauteuil gefahren, hat dort das Blatt abgeholt und seine Reise in Richtung Computer fortgesetzt.
Was die beiden dann im Detail besprechen, wird Sie, werte Leserschaft, ebensowenig interessieren wie mich. Es hat mit computertechnischen Verfahrensfragen zu tun, wie welche Daten wo und warum genau ebendort eingegeben werden müssen, damit wir das optimale Ergebnis erzielen. Nicht nur in der Planungsphase, auch in der Realisierung eine langwierige Angelegenheit, jedenfalls aber mit den erfreulichen Aussichten, daß irgendwann einmal alle Fakten, die auf Brunners Zetteln stehen, zusammen mit sämtlichen Tatsachen, die ich dem Doc und der Doc mir berichtet hat, in seiner Denkmaschine gespeichert und festgeschrieben sein werden, was uns angeblich die Arbeit wahnsinnig erleichtert.
Ich will garnicht leugnen, daß ich nicht hundertprozentig bei der Sache bin, als all das passiert, sondern in Gedanken daheim in der Reindorfgasse. Bei Gitti Kaltenbeck zum Beispiel, die in ihrer unnachahmlichen Art dafür gesorgt hat, daß die letzte Nacht zwischen Kokospalmen und südlichem Sternenhimmel bis zum frühen Vormittag gedauert hat; und daß ich so gegen halb neun, matt aber versöhnt mit der Welt, auf Gittis tropischer Tagesdecke am Bauch liegend eine telefonische Aussprache mit dem Hasenöhrl Junior hatte, der mir nach langem Hin und Her versprach, Montag früh pünktlich um acht und höchstpersönlich die Grundsteinlegung meines Badezimmers vorzunehmen. Und natürlich bin ich auch im Geiste bei Axel und Ronnie, die zur Zeit in der alten Kaltenbeck-Küche die Kacheln abschlagen, nachdem sich der Lehrling der Firma Hasenöhrl gestern außerstande erklärt hat, jemals wieder meine Wohnung zu betreten. Aus gesundheitlichen Gründen.
Als ich eigentlich schon garnicht mehr damit rechne (und deshalb wohl auch kurz eingenickt bin), bittet der Doc zur gefälligen Kenntnisnahme erster Ergebnisse.
Auf seinem Großbildmonitor lese ich, unter dem Arbeitstitel „Grabmörder/01“, nachfolgende Aufstellung:
14. 5.1995
Wien 9., D ’Orsey-Gasse 12 Keller, hofseitig.
Nicht
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