Kurt Ostbahn - Platzangst
identifizierte Leiche, weibl., ca. 25-35, mumifiziert Grabbeigaben: siehe Liste 1
26. 8. 1996
Wien 6., Mollardgasse 4 Keller (Abbruchhaus)
Nicht identifizierte Leiche, weibl., ca. 25-30, mumifiziert Grabbeigaben: siehe Liste 2
23. 2.1997
Wien 13., Auhofstraße 238 Keller („Turnsaal“)
Nicht identifizierte Leiche, vermutl. weibl., mumifiziert; zw. ca. 11 Uhr 30 und 19 Uhr 30 von Fundort entfernt. Grabbeigaben: siehe Liste 3
24. 2. 1997
Wien 13., Auhofstraße 238 Keller (Heizraum)
Nicht identifizierte Leiche(n): Zahn- und Knochenfunde.
Nicht identisch mit n.i. Leiche vom 23. 2.
„Und was lernen wir daraus?“ sage ich. „Daß sich euer Totenvogel zwischenzeitlich auch in der Kunst der Feuerbestattung versucht hat, aber dann doch lieber zu seiner bewährten Methode zurückgekehrt ist. Und passiert ist beides originellerweise in dem Kasten in der Auhofstraße, wo bis zum Oktober der Knapp gewohnt hat.“
Das sagt sich so leicht. Aber gleichzeitig gehen dir mindestens tausend Gedanken durch den Kopf, die den Knapp ent- und wieder belasten, und während mir schön langsam das Hirn steht, macht der Doc mit seinem rollenden Bürostuhl plötzlich eine Drehung um hundertachtzig Grad und fliegt sozusagen aus heiterem Himmel Brunner an:
„Was haben Sie eigentlich gegen den Knapp?“
„Gegen ihn persönlich oder gegen ihn als unseren Täter?“ fragt Brunner ganz ruhig zurück. „In beiden Fällen nicht meine Kragenweite.“
„Aber es liegt doch auf der Hand, daß der Knapp . . .“ „Nix liegt auf der Hand, Herr Dresch“, sagt Brunner und schwingt sich aus seinem Ohrensessel. „Und nur weil Sie mit dem Knapp persönlich ein Problem haben, wird aus einem Fotografen mit Dauerständer noch lang kein Serienmörder. Unser Mann geht nicht mit seiner Sexomanie hausieren und macht noch ein Batzen Geschäft damit. Unser Mann is kein Selbstdarsteller. Im Gegenteil.“
„Das ist schon richtig, aber. . .“, fällt ihm der Doc ins Wort. Und das mag Brunner überhaupt nicht. Wenn er laut nachdenkt, dann braucht er weder Kritik noch Bestätigung. Dann will er ein Publikum, das den Mund hält und die Ohren spitzt.
„Also dürfte ich jetzt ausreden?“ sagt er schroff und macht sich auf einen längeren Spaziergang, immer wieder kreuz und quer durch die Kommandozentrale.
18
„Also unser Totenvogel – gefällt mir übrigens gut, der Spitzname, Herr Doktor – unser Totenvogel ist Ende Zwanzig, maximal Anfang Dreißig. Lebt in Wien. Irgendwo draußen. Transdanubien. Floridsdorf, Kagran, Donaustadt. Auf jeden Fall in einer Gegend, wo man anonym bleibt. Eine Wohnhausanlage in einer Schlafstadt, würde ich sagen. Dort fühlt er sich sicher.
Er hat eine passable Allgemeinbildung. Matura, vielleicht ein paar Semester studiert, das Studium aber verschlampt und abgebrochen. Jetzt geht er keiner geregelten Arbeit nach. Gelegenheitshacken, Aushilfsjobs, die eigentlich unter seinem Niveau liegen, und die er auch nur macht, um sich finanziell über Wasser zu halten. Nachttankstelle, fällt mir als eine Möglichkeit ein, oder Wochenendtaxler.
Und auch sonst führt er ein unregelmäßiges, unstetes Leben. Ein Nachtmensch, der erst dann aktiv wird, wenn in seiner Umgebung die Lichter ausgehen. Er braucht die Nacht genauso wie die Anonymität der Stadt. Erst wenn’s dunkel wird, fühlt er sich stark. Und da ist er auch viel unterwegs. Er fährt einen Gebrauchtwagen, sag ich einmal, mindestens zehn Jahre alt, leistungsstark und geräumig, aber nicht sehr gepflegt. Vielleicht einen Volvo. Oder einen alten Mercedes. Diesel. Und er kennt sich sehr gut aus in Wien. Auf seinen nächtlichen Streifzügen hat er einen Blick entwickelt für leerstehende Objekte, die er für seine Unternehmungen braucht. Die beobachtet er über Wochen, recherchiert nach und führt ganz genau Buch. Das gehört mit zum Ritual.
Wenn er sozusagen auf der Welle ist, ferngesteuert von seiner Mission, dann sehen Sie ihm das auch an: Da achtet er nicht auf sein Äußeres, verwahrlost, nimmt in einer Woche drei, vier Kilo ab, ißt fast nix, trinkt fast nix, weil sein ganzes Denken bestimmt wird von seiner großen Aufgabe. Er agiert wie in Trance und ist dabei präzise wie eine Schweizer Uhr.
Der Totenvogel lebt allein. Er hat keinen Lebenspartner. Er hat keine Freunde, kaum – wenn überhaupt – Kontakt zu seiner Familie und nur wenig Bekanntschaften. Vielleicht war da einmal was, eine Ehe oder eine Lebensgemeinschaft, aber die hat nicht lang gedauert, ein paar
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