Kurt Ostbahn - Platzangst
langen Schwanz wedelt und ein helles fröhliches Kläffen hören läßt. So lacht der junge Hund, vermute ich. Jedenfalls ist er nicht nur mit vielen Flecken, riesigen Tatzen und einem überlangen Schwanz ausgestattet, sondern auch mit einem sonnigen Gemüt. Beim Trainer ist in den letzten Minuten bis auf die skandalöse Bräune alles Sonnige aus seiner Miene gewichen.
„Das ist der Che“, stellt er mir seinen kleinen Freund vor. „Und was, bitte, war ein Überfall?“
„Ich wurde überfallen, bedroht und niedergeschlagen“, sage ich mit allem Nachdruck, zu dem ich bei meinen Schmerzen fähig bin. „Aber das Ganze war eine Verwechslung.“
Dann schlage ich dem Trainer vor, die Sache nicht im Stehen und im Stiegenhaus zu besprechen, sondern oben bei mir auf der Baustelle, wo ich mich auf die Bettbank legen könnte, weil mir die Knie zittern. Der Trainer glaubt mir immer noch kein Wort, das seh ich ihm an, aber er stützt mich immerhin, und wir beginnen den mühevollen Aufstieg in den dritten Stock.
„Ich hab vorhin mit dem Doc telefoniert und der hat gesagt, du bist garantiert daheim, weil du auf einen dringenden Anruf wartest. In Wahrheit liegst du in der Einfahrt herum. Was soll das? Ich wollt eigentlich Hallo sagen, dir was Wichtiges vorbeibringen und vielleicht ein Bier trinken, aber anscheinend ist das nicht der richtige Zeitpunkt.“ Er kommt nicht dazu, so richtig gekränkt und beleidigt zu sein, denn der kleine Hund springt plötzlich mit einem begeisterten Kinderlachen vor uns die Treppe hinauf und ist auch schon verschwunden.
„Che!“ ruft ihm der Trainer nach. „Scheiße. Er macht den ganzen Tag, was er will.“
„Che?“ sage ich „Wie seinerzeit der Commandante?“ Irgendwo fliegt eine Tür auf.
„Is endlich ein Frieden da draußen?“ keift eine Stimme durchs Stiegenhaus, die sich anhört wie die der alten Kaltenbeck, aber die kann hier nicht mehr keifen, die ist im Pensionistenheim. „Es is mitten in der Nacht, und Hundsviecher haben bei uns im Haus sowieso nix verloren!“
Aber es gibt nicht nur böse Menschen im Zwölferhaus. Als wir im zweiten Stock ankommen, bietet sich uns vor der Kaltenbeck-Wohnung ein rührendes Bild tierlieber Ausgelassenheit. Der revolutionäre Hund des Trainers hat sich im Gürtel von Gittis rosa Bademantel mit den vielen blauen Elefanten festgebissen, beide ziehen und zerren daran mit Hingabe, und Gitti Kaltenbeck ist vor Begeisterung kaum noch zu halten.
„Ja, bist du liiiieeeb! Sag, wie heißt denn du? Wem gehörst denn du? Und wenn du niemand gehörst, dann gehörst du von jetzt an mir!“
Der Trainer und ich beobachten das fröhliche Treiben eine Zeitlang unbemerkt. Dann springt der junge Che an Gitti hoch, wahrscheinlich weil er noch nie so viele blaue Jumbos oder Tumbos auf einem Fleck gesehen hat und jeden einzeln begrüßen will.
„Nicht so stürmisch, Burli“, lacht Gitti, „du zerreißt mir sonst noch die Strümpf.“
Sie schubst ihn sanft zur Seite und registriert, daß sie Publikum bekommen hat.
„Kurtl! Endlich!“
Der Trainer starrt schon die längste Zeit auf ihre wohlgeformten Beine, und auch ihm scheint nicht entgangen sein, daß Gitti unter dem Bademantel was ziemlich Durchsichtiges trägt, heute in Zyklam. Sie schlägt rasch den Bademantel zu und zieht den Gürtel fest.
„Das is die Gitti“, sage ich in das plötzliche Schweigen, das keine Sekunde länger dauern durfte, um nicht ganz peinlich zu wirken, „und das ist der Trainer. Und ein Hund namens Che.“
„J.? Wie J.R.?“ fragt Gitti. „Also der Namen paßt nicht zu dir, Burli. Das is kein schöner Name für so einen lieben Hund.“
Sie tätschelt ihm frisch verliebt das schwarze Köpfchen mit dem großen weißen Fleck auf der Stirn.
„Che. Wie Emesto Che Guevara“, stellt der Trainer richtig, und ich höre einen leichten Unmut in seiner Stimme.
„Achso. Ist der aus dem Ausland?“ will Gitti wissen.
„Teneriffa. Ein Findelkind. Vier Monate. Komm jetzt, Che! Venga!“
Für den Trainer ist der Bassenatratsch mit der tierlieben Nachbarin damit beendet, er will einen Stock höher auf die Baustelle. Aber Gitti hat nicht vor, uns ziehen zu lassen. Erstens will sie den Trainer darauf vorbereiten, daß sein kleiner Che in einem halben Jahr, wenn er ausgewachsen ist, ein Riesenlackel von einem Hund sein wird, das erkennt der Hundekenner an der Größe der Pfoten und an der Länge seines Schwanzes; und zweitens muß Gitti ganz dringend mit mir reden, was Privates,
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