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Kurt Ostbahn - Schneeblind

Kurt Ostbahn - Schneeblind

Titel: Kurt Ostbahn - Schneeblind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guenter Broedl
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richtige Speisekarte. Kleine Imbisse wie Toast, Ham and Eggs, Gulaschsuppe, Frankfurter und Debreziner (mit und ohne Saft, Senf und Kren). Zusätzlich gab es ein Tagesgericht: Wiener Schnitzel mit Salat, gebratenen Leberkäs mit Spiegelei, Erdäpfelgulasch, Seefisch paniert mit Mayonnaisesalat am Freitag. Der günstige Tagesteller wurde auf der »Puntigamer«-Tafel neben der Eingangstür in Kreide (und mit vielen Rechtschreibfehlern) angepriesen.
    Dann, nachdem der Rudi in der Schupfen im Hof ermordet und der Herr Josef selbst schwer verletzt wurden (von wem und wieso, kann nachgelesen werden in »Kurt Ostbahn: Blutrausch«, 1995), wurden zuerst die Tagesgerichte aus dem Angebot gestrichen, weil der Herr Josef die Arbeit ohne seine Hilfskraft nicht mehr bewältigen konnte. Und so nach und nach ist in den letzten Jahren die Karte immer mehr geschrumpft, bis schließlich nur noch Frankfurter, Schinkentoast und Gulaschsuppe übrigblieben. Und seit der Urlaubssperre im letzten August gibt es im Cafe Rallye überhaupt keine Karte mehr. Nur noch Mannerschnitten, Soletti oder den Erdnußautomaten, bei dem eine Handvoll (weil die weißen Papierschüsserln nicht mehr erzeugt werden) Aschanti immer noch einen Schilling kostet, nur leider aber auch so schmeckt.
    Der Herr Josef rumort in seiner aufgelassenen Küche. Als er wiederkommt, sieht er aus wie sein eigener Geist.
    »Is Ihnen was, Herr Josef?« frage ich. Zuerst denke ich an einen Herzanfall, eine Nierenkolik, irgendwas Körperliches, das dich nach dreißig Jahren hinter und an der Bar irgendwann unweigerlich auf die sogenannte Dacken haut.
    Aber der Herr Josef winkt ab und schenkt sich den zweiten Fernet ein.
    Da fällt mir ein, daß mein Stammgastronom und ich ein gemeinsames Manko haben, nämlich nicht zum richtigen Zeitpunkt, sondern erst dann, wenn es bereits zu spät ist, laut aussprechen zu können, was einem am Herzen liegt, an die Nieren geht, sich auf den Magen schlägt und einem die Galle hochsteigen läßt.
    Im Falle des Herrn Josef sind an diesem Mangel bisher zwei Ehen zerbrochen.
    »Es is so weit, Herr Kurt«, sagt er und kippt seinen Fernet. »Das is es gwesn. Das Rallye tut und kann und will nimmer. Am 31. März bin ich da draußen und geh als Rentner im Auer-Welsbach-Park Tauben vergiften.«
    »Blödsinn«, sage ich und weiß gleichzeitig, daß dem so nicht ist, daß ich über viel zu lange Zeit die unbezahlbaren Vorzüge des dahinsiechenden Rallye genossen, mir aber nie Gedanken über dessen Zukunft gemacht habe. Und über die Zukunft des Herrn Josef, der zwar längst im pensionsreifen Alter ist, aber ohne seinen Platz hinter der Budel, ohne den Schankboden unter den Füßen, nur untergehen kann, verblöden, verkalken, versumpfen, zum Pflegefall verkommen, wie so viele seiner alten Gäste auch.
    »Aber das gibt’s ja ned«, ist alles, was mir im Augenblick einfällt.
    »Soll ich Ihnen was zeigen, Herr Kurt?« sagt der Herr Josef und läßt seine Registrierkassa aufspringen. »Das is meine heutige Tageslosung, bevor Sie gekommen sind. 180 Schilling. Ein paar Kaffee in der Früh. Das waren die Hackler von der Baustell nebenan. Und dieselbe Partie nach der Arbeit noch einmal. Zwei Spritzer, zwei große Bier. Und heut’ das is kein Einzelfall, Herr Kurt. Das is so. Und zwar schon viel länger, als Sie wahrscheinlich glauben. Ich steh da herin von zehn in der Früh bis zur Sperrstund, sechs Tag die Wochn, und wart auf Kundschaft. Und was kommt? Vielleicht zwei Trankler, blunzenfett und stier, und bestellen sich gemeinsam ein Achtel. Und zahlen wollns dann mit einem goldenen Smaragdring ausn Kaugummiautomaten. Das is die Realität, Herr Kurt. Und die bricht einem irgendwann einmal das Gnack.«
    Und während er mir meinen zweiten Fernet einschenkt, erinnert mich der Herr Josef an einen seiner treuesten Gäste, an den Polifka-Rudl, der über Jahre jeden Feierabend im Rallye bei sehr vielen roten Achteln und mit dem Studium des Fernsehprogramms verbracht hat.
    »Na, und wo is der Rudl heute? Wo war er gestern oder vorige Wochn?«
    »Ich weiß es nicht, Herr Josef«, sage ich.
    »Aber ich weiß es. Und zwar ganz genau. Er sitzt daheim. In der Turnergassn. Vorm Fernseher. Sauft seinen Roten wahrscheinlich aus dem Tetrapack vom >Zielpunkt< und schaut Kabelfernsehen. Und das, Herr Kurt, ist - wann ich das so sagen darf - auch und in erster Linie Ihre Schuld.«
    Ich weiß. Es ist letztlich meine Schuld. Der Polifka-Rudl wird demnächst 75 und wechselte bis vor

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