Kurt Ostbahn - Schneeblind
Tasse Tee einen Blick in die Abgründe der juvenilen Existenz des angehenden 21. Jahrhunderts zu werfen, in die Gedanken- und Bilderwelt von Pubertierenden männlichen Geschlechts, die von ihrer Elternschaft mit Sega, Kabelfernsehen, Super-Nintendo, einem Jahres-Abo der lokalen Videothek und unbegrenztem Internet-Zugang gesäugt und großgezogen wurden.
Anders kann ich mir den Schwachsinn nicht erklären, der auf den vier Blatt Faxpapier zu lesen ist. Nur wer zu viel unverdautes mediales Junkfood in der Birne hat, das in den Gehirnwindungen gärt, rumort und die Ganglien bläht, furzt solch wirres Zeug, verschickt es dann per Fax und belästigt damit so sensible Gemüter wie meinen Herrn Trainer.
Ich will der Leserschaft den gesamten Wortlaut der vier Schreiben ersparen. Nur so viel: Das erste Fax, datiert mit 11. Februar, also letzten Freitag, kündigt den Welt-Untergang (»Armageddon«) an. Das finale Großereignis soll sein Epizentrum im Beserlpark auf dem Henriettenplatz haben und sich von dort »in einer Flutwelle des Blutes, Schmerzes und Grauens mit einem Affenzahn über den gesamten Erdball ausbreiten«. Der Trainer, Doktor Trash und meine Wenigkeit werden zu diesem Mega-Event, der garantiert um Längen cooler ausfallen wird als jeder »Dome« oder »Marilyn Manson live«, mit satanischen Grüßen eingeladen.
Gezeichnet: El Dichter.
Im zweiten Fax, datiert mit 12. Februar, kündigt der Verfasser ein Blutbad überschaubareren Ausmaßes an: »Es wird die Welt nicht untergehen, und die Flüsse werden nicht stromaufwärts fließen, wenn Du blutest aus tausend Wunden, bis kein Leben mehr in Dir ist. Nichts wird geschehen. Gar nichts. Aber ich werde danach endlich leben. Für immer.«
Gezeichnet: †
Das dritte und vierte Fax, datiert mit 14. Februar bzw. heute, bringen erneut den Henriettenplatz ins Spiel, wo Trainer, Doc und ich Augenzeugen und Ehrengäste einer grandiosen Performance »von biblischer Größe« werden könnten, und das »bei freier Platzwahl, Freibier und je einem Freispiel am Armageddon-Flipper«. Die Veranstaltung findet bei jedem Wetter statt, und zwar heute, Dienstag, Beginn: 22 Uhr.
Die beiden letzten Faxe sind gezeichnet mit: El Dichter & The Totenvogel.
Und sie enthalten eine Art handschriftliches Manifest (lt. Fußnote »geschrieben mit dem Blut zukünftiger Opfer«):
Ob Kaiser; König, Edelmann,
Bürger; Bettelmann,
Tussi, Mutti, Frau Professa,
Schnalle, Omi, Körndlfressa,
Hacker, Hackler, Mister Spock,
Nasse Muschi, geiler Bock,
Alle seid Ihr uns willkommen
Es tut arg weh, doch bald benommen
Wird Euer Blut uns Freude machen
Uns inspirieren zu lauter Sachen
Die Euch mit Abscheu nur erfüllen
Zum Beispiel KILLEN, KILLEN, KILLEN!
Ich nehme an, Sie sehen das ähnlich wie ich, nämlich grundsätzlich gelassen, und wenn es Grund zur Sorge gibt, dann gilt sie nicht den pubertären Blut-Ergüssen des oder der Faxschreiber, sondern dem Trainer, der zwar nicht zum beinharten Hund im Sinne eines Bogart, Stallone oder Willis geboren wurde, aber garantiert auch kein Woody-Allen-mäßiges Nerven-und-Neurosenbündel ist, das sich durch Schülerpost wie diese aus der inneren Balance bringen läßt.
Ich falte die vier Seiten also wieder zusammen und schiebe sie dem Trainer zurück über den Stammtisch.
»Okay«, sage ich. »Und jetzt im Ernst. Worum geht’s wirklich, Trainer? Du willst dich mit mir doch nicht beim Quell treffen, nur weil deine Faxmaschine diesen geistigen Dünnschiß ausgeworfen hat.«
»Mehr fällt dir dazu nicht ein?«
»Nein, Trainer«, sage ich. »Leider nein.«
Der Trainer packt seine Post wieder zurück in die Innentasche seines Winterjankers. Dann macht er einen kräftigen Zug vom Krügel.
»Ich krieg’ nicht nur diese kranken Faxe«, rückt er endlich mit einer wirklich beunruhigenden Nachricht heraus. »Ich werd’ außerdem beobachtet. Am Sonntag hat jemand meinen Postkasten aufgebrochen, und gestern wollte die — ich nehm’ stark an — selbe Person bei mir in der Mansarde einbrechen. Ergebnis: Das Sicherheitsschloß ist kaputt, der Schlüssel sperrt nicht mehr richtig, und ich kann mir um sündteures Geld den Schlosser kommen lassen. Wenn dir das alles passiert, während dein Faxgerät fast täglich solche Botschaften ausspuckt, dann würdest du wahrscheinlich auch schlecht schlafen, oder?«
»Ich schlaf’ immer schlecht«, sage ich.
Der Trainer verdreht die Augen.
»Und seit wann fühlst du dich verfolgt oder beobachtet, Trainer?« beeile ich mich,
Weitere Kostenlose Bücher