Kurt Ostbahn - Schneeblind
solche Situationen nicht fremd sind, »nur ein Wegsperren is bei mir leider nicht möglich und wär genaugenommen gegen meine Geschäftsinteressen. Weil wozu, bitte, is ein gastronomischer Betrieb wie der meinige da? Daß er seine Gäst mit den Getränken ihrer Wahl versorgt, oder?«
Dem kann der Trainer nichts entgegenhalten. Er schnappt sein Krügel und verfugt sich eingeschnappt an den Tisch neben der Jukebox.
»Wolltest du nicht was Vernünftiges tun, bevor die Nora kommt?« fragt er zu mir herüber an die Bar, als er sich hingesetzt und den Fragenkatalog des kranken Doktors vor sich auf der Tischplatte ausgebreitet hat.
»Oh ja«, sage ich, »aber da drüben bei dir zieht s.«
9
SCHLENDRIAN.
Zirka eine halbe Flasche Fernet später, an der ich mich angesichts der doch etwas angespannten Lage nur marginal beteiligt hab, sind der Trainer und ich immer noch die einzigen Gäste im Rallye.
Von Madame Nora fehlt jede Spur.
Das gibt inzwischen auch Zofe Gerda zu denken, die der Trainer vorhin noch einmal angerufen hat, um sich nach dem Verbleib ihrer Herrin zu erkundigen.
Madame Nora hatte, so Zofe Gerda zum Trainer, einen Termin bei ihrem Anwalt, hat danach ihren kleinen Neffen Simon von einem Kindergeburtstag in Mödling abgeholt, ihn nach Haus gebracht, wo Gerda als Babysitter parat stand, und danach, das war so gegen halb neun, ist sie losgefahren, um zuerst zwei potentielle neue Mitarbeiter zu einem Vorstellungsgespräch zu treffen und im Anschluß daran den Trainer und mich. Im Cafe Rallye, Sechshauser Straße, Wien-Fünfhaus.
Daß sie sich seit drei Stunden nicht gemeldet hat, wäre ganz gegen ihre Art, meinte die Zofe, die es ja schließlich wissen muß. Nora sei normalerweise die Pünktlichkeit in Person, erwarte das auch von ihren Mitmenschen, und sei ganz generell eine Frau mit stark ausgeprägtem Ordnungssinn, die es nicht ausstehen kann, wenn irgendwo in ihrem Leben der Schlendrian einreißt.
Abschließend verwies Zofe Gerda auf den Schneesturm und das daraus resultierende Verkehrschaos, die Noras strenge Terminplanung eventuell etwas durcheinandergebracht haben könnten, eine dermaßen große, inzwischen stundenlange Verspätung jedoch auch nicht wirklich erklären würden.
»Irgendwas stimmt da ned«, sagt der Trainer nun schon zum dritten Mal.
Und ich kann ihm nur stumm nickend beipflichten. Genau das denk ich mir bei seiner Nora, die angeblich nicht seine Nora ist, seit ich das erste Mal von ihr gehört hab.
Der Herr Josef hat in der Wartezeit dem Fernet in solchen Maßen zugesprochen, daß er als ernstzunehmender Gesprächspartner für den Rest der Nacht ausfällt.
Also bleibt mir nur der Trainer. Und der ist in banger Erwartung seiner einstigen Jugendliebe, die nach ihrer gescheiterten und längst geschiedenen Ehe mit dem Fahrschuldirektor und ehemaligen Trainer-Schulfreund Andreas Rechberger ihre neue Heimat und Erfüllung in der mir nur peripher (aus »Wa(h)re Liebe«, »Liebe Sünde« und den Aussagen von Donna, der Sängerin einer Fetish-Rockband namens »Mom & Dead«) bekannten Welt gefunden hat. Falsch. Da war vor ein paar Jahren auch noch das fotografische Werk des Frido Knapp, der heute in Japan lebt, neulich für den Bildband »Tokio Girls« eben solche in schwarz glänzenden Latexkostümen und mit weiß geschminkten Geisha-Gesichtern abgelichtet hat und dafür mit irgendeinem internationalen Preis ausgezeichnet wurde. So eine Art Fotografen-»Oscar«. War im »Kultur-Journal«, der Knapp mit zwei seiner Gummi-Geishas.
Und die Fotos, die er damals noch in Wien, in seinem Keller in der Auhofstraße gemacht hat, die haben mich seinerzeit bis tief hinein in meine Träume verfolgt. Hartnäckig. Ich weiß noch, ich hab damals viel nachgedacht über sexuelle Belästigung und wie man sich im Traum dagegen schützen kann.
Unser kranker Doc weiß über diese dunkle und abgründige Thematik selbstverständlich viel besser Bescheid, hat sich auf seinem Krankenlager eine neue Expertise abgerungen und außerdem einen Fragenkatalog an Nora ausgearbeitet, dessen vollständige Beantwortung mindestens eine Woche in Anspruch nehmen würde.
Kurz nach eins ruf ich ihn vom geheimen Trainerhandy an, um ihm mitzuteilen, daß Nora entweder vom Schneesturm verschluckt oder auf dem Weg ins Rallye von dem Faxschreiber an einer zugigen, finsteren Ecke abgepaßt wurde und seine vielen komplizierten Fragen leider für immer unbeantwortet bleiben werden.
»Wir, also der Trainer und ich, sind beunruhigt
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