Kurtisanen leben gefaehrlich
Netz gewoben, in dem sich der junge Terrano verfangen hatte? Ich fand keine Antworten auf meine Fragen, würde sie so lange nicht finden, bis ich ihr Auge in Auge gegenüberstand.
Nachdem ich mich mit Wasser erfrischt und dem Frühstück, das mir die Mondiénnerin während meines Schlafes serviert haben musste, einen halbherzigen Blick gewidmet hatte, wanderten meine Augen erneut zu dem mächtigen Wandschrank. Doch ich öffnete ihn nicht noch einmal, wollte mich nicht dem Willen der Artista unterwerfen. Meine Mutter hatte nicht gewollt, dass ich das Kleid einer Malerhexe trug und so würde ich es selbst dann nicht tun, wenn mir eine Beatrice Santi gegenüberstand. Also würde ich meine Stiefel und meine Hose tragen, ganz gleich, wie schief mich Ophélie ansah und wie spöttisch ihr Lachen sein mochte.
In meiner Unruhe war ich schon eine Weile in dem Zimmer auf und ab gelaufen. Der Teppich dämpfte meine Schritte zu einem dumpfen Klang, der kaum mehr an das Ohr zu dringen vermochte und es fiel mir schwer, meine Ungeduld zu bezähmen. Schließlich hielt ich es nicht mehr in meinem Gemach aus. Ich war des Wartens auf Ophélie müde und entschloss mich dazu, meiner unseligen Neugier freien Lauf zu lassen und mir die Schrecken des Palazzo im Licht des Tages anzusehen.
Behutsam öffnete ich die Tür, die in den Flur hinausführte und huschte auf den langen Gang, der von einem fahlen Lichtschein an seinem Ende schwach erleuchtet wurde. Leise schlich ich voran, musterte dabei die Gesichter auf den allgegenwärtigen Porträts, die mit einer enormen Kunstfertigkeit gemalt worden waren. Beinahe meinte ich, dass mich die Augen der Dargestellten verfolgten, so lebensecht wirkten sie.
Manche der abgebildeten Personen erkannte ich als Menschen, die mir bei gesellschaftlichen Ereignissen begegnet waren. Doch ich maß keinem davon eine Wichtigkeit bei, die seine Darstellung gerechtfertigt hätte. Andererseits vermochte ich es nicht, in den Geist der Artista zu blicken und zu sehen, was sie als wichtig erachtete. Waren diese Bilder magisch? Ich konnte es durch die Entfernung nicht spüren und wagte es nicht, mich ihnen zu nähern.
Im schwachen Licht des Tages konnte ich einige der Dinge, die mir im Dunkeln als furchterregend erschienen waren, als einfache Statuen identifizieren, die stumm und bewegungslos in die ihnen vorgegebene Richtung starrten. Im Gegensatz zu den Bildern enthielten sie keine Ähnlichkeit mit lebenden Personen, denen ich begegnet war. War Beatrice Santi eine Sammlerin erlesener Kunstgegenstände oder hatte sie alles mit ihren eigenen Händen erschaffen? Ich wusste wenig über die Fürstin und so blieben mir nur Vermutungen.
Alles an diesem Ort erschien mir alt und unberührt, als hätte seit Jahrzehnten niemand mehr in diesem Haus gelebt. Überall fanden sich Erinnerungen an die Vergangenheit, achtlos in eine Ecke gestellt und dort vergessen. Ich fragte mich, ob Beatrice Santi noch in unserer Welt weilte oder schon lange nicht mehr an den verwinkelten Wegen des Lebens um sie herum interessiert war. Doch wenn dies so war, warum herrschte sie dann weiterhin über ihr Land und warum hatte kein Angehöriger ihrer Familie ihr die Macht genommen? Fürchteten sie diese Frau so sehr, dass es niemand wagte, ihre Herrschaft infrage zu stellen?
Der Palazzo war ein Bauwerk voller verschlungener Flure und Abzweigungen. Es fiel mir schwer, den Weg, über den ich gekommen war, im Gedächtnis zu behalten. Bald schon musste ich mir eingestehen, dass ich mich verirrt hatte. Verwirrt verharrte ich und blickte mich nervös um, nahm auf einmal wieder den dunkelroten Teppich unter meinen Füßen und die vielen Augen wahr, die mich anstarrten. Der Palazzo gewann seinen alten Schrecken zurück.
Atemlos und mit laut klopfendem Herzen lehnte ich mich an die Wand und versuchte, meine Gedanken zu ordnen, schalt mich selbst dafür, dass ich so achtlos und gedankenverloren umhergewandert war, ohne an die Konsequenzen zu denken.
Dann erblickte ich einen hellen Lichtschein am Ende des Flures und meine Neugier lockte mich weiter, um die Quelle des ungewöhnlichen Phänomens zu erkunden. Vorsichtig und so leise wie möglich tastete ich mich voran, während ich die Furcht in meinem Herzen ignorierte.
Das Geheimnis der Artista beschäftigte mich schon zu lange, um einfach nur den Weg zurück zu suchen, wenn es doch mehr zu entdecken gab, das mir vielleicht weitere Hinweise geben mochte. Die Mondiénnerin hatte mit Bestimmtheit schon
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