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Kurz vor Mitternacht

Kurz vor Mitternacht

Titel: Kurz vor Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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infrage.»
    Er änderte den Ton.
    «Schau, Kay, wir beide haben Audrey sehr schlecht behandelt. Nein, das stimmt nicht. Du hattest damit nichts zu tun. Ich hab sie sehr schlecht behandelt. Es hat keinen Zweck, zu sagen, dass ich nicht anders konnte. Mir wäre leichter zu Mute, wenn ich das ein bisschen wiedergutmachen könnte. Ich wäre dann viel glücklicher.»
    Kay fragte leise: «Du bist also nicht glücklich?»
    «Dummerle, geliebtes, wie meinst du das? Natürlich bin ich glücklich, über die Maßen glücklich. Aber…»
    «Aber – da haben wir’s! Immer gibt es ein Aber in diesem Hause. Ein Schatten schleicht herum. Audreys Schatten.»
    Nevile blickte sie an.
    «Du bist doch nicht etwa eifersüchtig auf Audrey?»
    «Ich bin nicht eifersüchtig auf sie. Ich fürchte mich vor ihr… Nevile, du weißt nicht, wie Audrey ist.»
    «Ich weiß nicht, wie sie ist, nachdem ich über acht Jahre mit ihr verheiratet war?»
    «Du weißt nicht, wie Audrey ist», wiederholte Kay.

6
30. April
    «Ungeheuerlich!», sagte Lady Tressilian.
    Sie richtete sich in ihrem Kissen auf und blickte aggressiv um sich.
    «Völlig unsinnig! Nevile muss verrückt sein.»
    «Es macht wirklich einen sonderbaren Eindruck», murmelte Mary Aldin.
    Lady Tressilian hatte ein scharfes Profil mit einer schmalen, langen Nase, an der sie in unnachahmlicher Weise entlangschauen konnte. Trotz ihres Alters und ihrer zarten Gesundheit war sie geistig sehr rege. Mary Aldin, eine entfernte Verwandte, lebte bei ihr und pflegte sie. Die beiden Frauen kamen ausgezeichnet miteinander aus. Mary war sechsunddreißig, hatte jedoch ein glattes, weiches Gesicht, dem die Jahre wenig anhaben konnten. Man hätte sie ebenso gut auf dreißig wie auf fünfundvierzig schätzen können. Sie war gut gewachsen und wirkte rassig; ihren dunklen Haaren verlieh eine weiße Strähne eine besondere Note. Das entsprach der augenblicklichen Mode, aber Marys weiße Strähne war echt, sie hatte sie schon als junges Mädchen gehabt.
    Nachdenklich betrachtete sie Nevile Stranges Brief, den Lady Tressilian ihr ausgehändigt hatte.
    «Ja», sagte sie, «es scheint sonderbar.»
    «Du willst mir doch nicht erzählen», fiel Lady Tressilian ein, «dass Nevile diesen Einfall gehabt hat! Jemand hat ihm das in den Kopf gesetzt. Vermutlich seine neue Frau.»
    «Du glaubst, dass es Kays Idee ist?»
    «Es sähe ihr ähnlich. Neumodisch und vulgär! Wenn ein Ehepaar seine Unstimmigkeiten öffentlich abmachen und sich scheiden lassen muss, dann soll es das wenigstens auf schickliche Weise tun. Die erste und die zweite Frau, die miteinander Freundschaft schließen – ekelhaft.»
    «Das ist wohl modern», meinte Mary.
    «Ich will so etwas nicht in meinem Hause haben. Es genügt wahrhaftig, wenn ich dieses Geschöpf mit den roten Fußnägeln um mich dulde.»
    «Kay ist Neviles Frau.»
    «Gewiss. Deshalb hatte ich auch das Gefühl, dass Matthew es gewünscht hätte. Er liebte den Jungen und wollte immer, dass er dieses Haus als sein Heim betrachtet. Da es zu einem offenen Bruch gekommen wäre, wenn ich Neviles Frau ausgeschlossen hätte, gab ich nach und lud sie hierher ein. Ich mag sie nicht, sie ist nicht die richtige Frau für Nevile – keine solide Herkunft, keine Wurzeln!»
    «Sie stammt aus gutem Hause», wandte Mary ein.
    «Schlechte Rasse! Ihr Vater musste, wie ich gehört habe, nach einer Spielaffäre aus sämtlichen Clubs austreten. Glücklicherweise starb er bald danach. Und ihre Mutter war an der Riviera bekannt. Wie kann man ein Mädchen nur so aufwachsen lassen! Immer in Hotels – und diese Mutter! Dann lernt sie auf dem Tennisplatz Nevile kennen, setzt ihm auf alle erdenkliche Weise zu und ruht nicht eher, bis er seine Frau verlässt – die er sehr liebte – und mit ihr durchgeht! Meiner Meinung nach ist sie an allem schuld.»
    Mary lächelte schwach. Lady Tressilian pflegte stets der Frau die Schuld zu geben und den Mann als sanfte Taube erscheinen zu lassen.
    «Offen gestanden glaube ich, dass Nevile ebenso viel Schuld an der Sache hat», sagte Mary.
    «Natürlich ist Nevile auch zu tadeln», räumte Lady Tressilian ein. «Er hatte eine reizende Frau, die ihn sehr liebte, vielleicht zu sehr liebte. Immerhin glaube ich, dass er wieder zur Vernunft gekommen wäre, wenn diese Kay ihn nicht so hartnäckig verfolgt hätte. Sie wollte ihn unbedingt heiraten! Ja, ich stehe ganz auf Audreys Seite. Ich habe sie sehr gern.»
    Mary seufzte. «Das ist alles so schwierig.»
    «Ja, wirklich. Man

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