Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kurz vor Mitternacht

Kurz vor Mitternacht

Titel: Kurz vor Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
Vom Netzwerk:
lernen!»

40
    Andrew MacWhirter packte seine Siebensachen.
    Sorgfältig legte er drei Hemden in den Koffer und dann seinen dunkelblauen Anzug – den richtigen, frisch gereinigt und gebügelt. Der Tatsache, dass zwei blaue Anzüge von zwei verschiedenen MacWhirters abgegeben worden waren, hatte sich das Mädchen im Geschäft entschieden nicht gewachsen gefühlt.
    Es wurde an die Tür geklopft, und MacWhirter rief: «Herein!»
    Audrey trat ein und sagte: «Ich komme, um Ihnen zu danken. Oh, Sie sind beim Packen?»
    «Ja, ich fahre heute Abend. Und übermorgen geht mein Schiff.»
    «Nach Südamerika?»
    «Nach Chile.»
    «Warten Sie, ich helfe Ihnen beim Packen», erbot sie sich.
    Er versuchte zu widersprechen, aber sie ließ sich nicht abhalten.
    Er sah ihr zu, während sie geschickt und planmäßig zu Werke ging.
    «So», sagte sie zufrieden, als sie fertig war.
    «Das haben Sie wirklich sehr gut gemacht», lobte MacWhirter.
    Es entstand ein Schweigen.
    Schließlich sagte Audrey: «Sie haben mir das Leben gerettet. Wenn Sie nicht zufällig gesehen hätten, was Sie gesehen haben…»
    Sie brach ab.
    Dann fragte sie: «Damals, an dem Abend, als Sie… als Sie mich daran hinderten, mich von der Klippe hinunterzustürzen, und als Sie sagten: ‹Gehen Sie nachhause, ich will dafür sorgen, dass Sie nicht gehängt werden›… war Ihnen da schon klar, dass Sie über wichtiges Beweismaterial verfügten?»
    «Eigentlich nicht», antwortete MacWhirter. «Ich musste mir die Sache erst überlegen.»
    «Aber wie konnten Sie dann Ihre Aussage machen?»
    MacWhirter wurde immer etwas verlegen, wenn er seine einfachen Gedankengänge erklären musste.
    «Was ich sagte, das meinte ich auch – ich wollte verhindern, dass Sie gehängt würden.»
    In Audreys Wangen stieg die Farbe.
    «Angenommen, ich hätte es getan…»
    «Das hätte keinen Unterschied gemacht.»
    «Glaubten Sie denn, dass ich es getan hätte?»
    «Darüber dachte ich nicht weiter nach. Ich neigte zu der Ansicht, dass Sie unschuldig wären, aber meine Handlungsweise wurde davon nicht beeinflusst.»
    «Und dann fiel Ihnen der Mann ein, den Sie an dem Seil hinaufklettern sahen?»
    Er schwieg eine Weile. Schließlich räusperte er sich.
    «Sie können es eigentlich geradeso gut wissen. In Wirklichkeit habe ich gar keinen Mann an einem Seil hinaufklettern sehen – das wäre auch gar nicht möglich gewesen, denn ich war am Sonntagabend auf dem Stark Head, nicht am Montag. Ich reimte mir nur nach meiner Entdeckung mit dem Anzug alles zusammen, und als ich dann im Abstellraum das feuchte Seil fand, fühlte ich mich meiner Sache sicher.»
    Jetzt war Audrey nicht mehr rot, sondern ganz blass. Ungläubig rief sie: «Ihre ganze Geschichte war erlogen?»
    «Schlussfolgerungen wären bei der Polizei nicht ins Gewicht gefallen. Ich musste sagen, dass ich das Ganze gesehen hätte.»
    «Aber… unter Umständen hätten Sie Ihre Aussage vor Gericht beschwören müssen.»
    «Gewiss.»
    «Hätten Sie das getan?»
    «Ja.»
    Fassungslos stieß Audrey hervor: «Und Sie sind der Mann, der seine Stellung verlor und Selbstmord begehen wollte, weil er sich nicht dazu bewegen ließ, von der Wahrheit abzuweichen!»
    «Ich halte sehr viel von der Wahrheit. Aber ich habe entdeckt, dass es noch wichtigere Dinge gibt.»
    «Zum Beispiel?»
    «Sie», sagte MacWhirter.
    Audrey senkte die Augen.
    Abermals räusperte er sich.
    «Sie brauchen sich mir gegenüber nicht verpflichtet zu fühlen oder dergleichen. Sie werden nie mehr etwas von mir hören. Die Polizei hat Stranges Geständnis und braucht meine Zeugenaussage nicht. Vielleicht wird er auch gar nicht vor Gericht kommen, denn soviel ich gehört habe, geht es ihm gesundheitlich gar nicht gut.»
    «Ich wäre froh, wenn er ein anderes Ende fände», gab sie leise zurück.
    «Sie hatten ihn früher sehr gern, nicht wahr?»
    «Den Mann, den ich in ihm sah.»
    MacWhirter nickte.
    «So ist es uns allen wohl ergangen.»
    Nach einer kleinen Weile fuhr er fort: «Alles hat sich zum Guten gewendet. Inspektor Battle konnte auf meine Aussage hin handeln und das Geständnis herbeiführen…»
    Audrey unterbrach ihn: «Er handelte auf Ihre Aussage hin, ja. Aber ich glaube nicht, dass Sie ihn zum Narren gehalten haben. Er schloss absichtlich die Augen.»
    «Wie kommen Sie darauf?»
    «Als er mit mir sprach, erwähnte er Ihre Aussage von einem Manne, den Sie im Mondlicht an einem Seil hinaufklettern sahen, und nachher wies er darauf hin, dass es an dem Abend

Weitere Kostenlose Bücher