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Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch

Titel: Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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er.
    Vater setzt sich. Er zittert und hat die Kiefer fest zusammengepresst. Weil ich diesen Anblick von früher nur zu gut kenne,
     würde ich am liebsten auf ihn einschlagen. Oder mich einfach davonmachen.
    »Nikolai, ich glaube, Nadeshda hat Recht. Weißt du, Valentina zu helfen, dass sie nach England kommen kann, ist das eine.
     Aber es ist wirklich noch einmal etwas anderes, wenn sie dich um Geld angeht.«
    »Es ist für die Fahrkarten. Wenn sie zurückkommen soll, braucht sie Geld für Fahrkarten.«
    »Aber wenn ihr wirklich etwas an dir liegt, dann wird sie doch noch einmal hierher kommen, bevor sie abfährt, oder? Sie wird
     sich doch von dir verabschieden wollen«, sagt Mike.
    Ich sage nichts. Ich halte mich raus. Soll der alte Schwachkopf doch sehen, wo er bleibt.
    »Hmm. Das mag sein.«
    Vater sieht beunruhigt aus. Gut so.
    »Ich meine, es ist ja ganz verständlich, dass du dich von ihr angezogen fühlst, Nikolai«, sagt Mike. (Wie bitte? Verständlich
     ist das? Darüber reden wir nachher noch einmal!) »Aber ich finde es doch ein wenig seltsam, dass sie niemanden von deiner
     Familie kennen lernen will, wenn sie wirklich vorhat, dich zu heiraten.«
    »Hmm.«
    Mit Mike gerät Vater nicht so schnell in Streit wie mit |46| mir. Mike ist ein Mann und muss mit Respekt und Achtung behandelt werden.
    »Was ist denn mit dem Geld, das sie in ihren verschiedenen Jobs verdient hat? Das sollte doch für die Fahrkarten ausreichen.«
    »Sie muss ein paar alte Schulden abzahlen. Wenn ich ihr das Geld für die Fahrkarten nicht gebe, kommt sie vielleicht nicht
     mehr wieder.« Die Angst vor diesem Verlust ist ihm im Gesicht abzulesen. »Und dann sind da auch noch die Gedichte, die ich
     für sie geschrieben habe. Ich möchte, dass sie sie liest.«
    Jetzt wird mir klar – und Mike offenbar im selben Moment auch   –, dass mein Vater total verliebt in sie ist. Dieser Dummkopf.
    »Wo in Peterborough wohnt sie denn eigentlich?«, fragt Mike. »Vielleicht können wir einfach dort vorbeifahren?« Er ist jetzt
     ebenso besorgt wie ich. Und vielleicht ein wenig neugierig.
     
    Wir steigen alle drei ins Auto. Vater hat sein bestes Jackett angezogen und den braunen Umschlag in die Innentasche gesteckt,
     trägt ihn sozusagen an seinem Herzen. Er dirigiert uns zu einer schmalen Straße mit roten Klinker-Reihenhäusern in der Nähe
     des Stadtzentrums. Vor einer der Gartenpforten halten wir an. Ein brüchiger asphaltierter Weg führt zum Haus. Vater ist im
     Nu ausgestiegen und hastet, den Umschlag in der Hand, auf die Haustür zu.
    Einen Augenblick lang gelingt es mir, ihn ganz nüchtern zu betrachten, wie einen Fremden, und was ich sehe, ist ein Greis
     mit gebeugtem Rücken und schlurfendem Gang. Doch seine Augen sprühen Feuer. Er drückt auf den Klingelknopf. Niemand öffnet.
     Er läutet noch einmal. Und wieder und wieder, länger und immer länger. Erst nach geraumer Zeit hört man, dass oben ein Fenster
     aufgeschoben |47| wird. Vater schaut in die Höhe. Er schwenkt den Umschlag über dem Kopf. Seine Hand zittert. Mike und ich halten den Atem an,
     weil wir erwarten, jetzt die wunderschöne Blondine mit dem riesigen Busen zu Gesicht zu bekommen, doch statt ihrer streckt
     ein Mann den Kopf zum Fenster heraus. Er ist um die vierzig, hat zerzaustes braunes Haar und trägt ein weißes Hemd mit offenem
     Kragen.
    »Verpiss dich, hörst du!? Hau ab!«
    Vater ist sprachlos. Mit zittriger Hand hält er den Umschlag in die Höhe. Der Braunhaarige nimmt keine Notiz davon.
    »Meinst du nicht, du hast schon genug Ärger verursacht? Erst kommst du mit diesem Rechtsanwaltsbrief an, dann belästigst du
     sie in der Arbeit und jetzt verfolgst du sie auch noch nach Hause. Sie ist sauer. Also verpiss dich und lass sie in Ruhe!«
    Und schon knallt das Fenster wieder zu.
    Vater scheint stehenden Fußes in sich zusammenzufallen. Mike legt ihm einen Arm um die Schultern und führt ihn zum Wagen zurück.
     Wieder zu Hause, ist Vater kaum in der Lage zu sprechen.
    Mike sagt: »Ich glaube, da bist du gerade noch einmal davongekommen, Nikolai. Meinst du nicht, du solltest das Geld zur Bank
     zurückbringen und sie vergessen?«
    Vater nickt stumm.
    »Hältst du mich jetzt für sehr dumm?«, fragt er.
    »Ach nein«, sagt Mike. »Das kann doch jedem Mann passieren, dass er wegen einer schönen Frau den Kopf verliert.« Er fängt
     meinen Blick auf und lächelt mich entschuldigend an.
    Mikes Worte richten Vater wieder ein wenig auf. Seine

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