Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch

Titel: Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
Vom Netzwerk:
dieses zwielichtigen Reiches. Sie regiert
     gnadenlos und duldet keinen Widerspruch.
    »Mein Gott, was für ein Idiot!«, ruft sie denn auch, als ich ihr von Valentina und dem Geldkuvert berichte. »Wir müssen da
     einschreiten.«
    Meine große Schwester kennt keine Zweifel.
    »Aber Vera, ich glaube, ihm ist es wirklich ernst mit Valentina. Und wenn sie ihn glücklich macht   …«
    »Wie kannst du nur so gutgläubig sein, Nadeshda. Dabei berichten die Zeitungen doch täglich über solche Leute. Immigranten,
     Asylbewerber, Wirtschaftsflüchtlinge – nenn |52| sie, wie du willst. Wenn sie es bis zu uns schaffen, sind sie wild entschlossen und skrupellos, und sobald sie merken, dass
     es nicht so einfach ist, einen guten Job zu finden, werden sie kriminell. Wir müssen unbedingt verhindern, dass diese Frau
     aus der Ukraine zurückkommt.«
    »Aber er hat es sich nun mal in den Kopf gesetzt. Ich bin mir nicht sicher, ob wir es verhindern
können

    Ich stecke zwischen zwei unverrückbaren Meinungen fest – seiner und ihrer. So war es mein Leben lang.
     
    Meine große Schwester ruft im Innenministerium an. Dort sagt man ihr, sie müsse eine schriftliche Eingabe machen. Doch weil
     Vater, wenn er davon erfährt, ihr das niemals verzeihen wird – wie er ihr noch nie irgendetwas verziehen hat   –, schreibt sie anonym:
     
    »Sie kam mit einem Touristenvisum hierher, und nun versucht sie es zum zweiten Mal. Sie hat illegal gearbeitet. Ihr Sohn geht
     auf eine englische Schule. Zwei Wochen vor Ablauf ihres ersten Visums kam sie auf die Idee, hier eine Ehe zu schließen. Sie
     beabsichtigt, Mr.   Majevski zu heiraten, um ein Dauervisum und eine Arbeitserlaubnis zu erhalten.«
     
    Als Nächstes telefoniert sie mit der britischen Botschaft in Kiew. Ein gelangweilt klingender junger Mann eröffnet ihr näselnd,
     dass Valentinas Visumantrag bereits positiv beschieden wurde. Es habe kein ersichtlicher Grund für eine Ablehnung vorgelegen.
     Vera zählt noch einmal alles auf, was sie in ihrem Brief geschrieben hat. Der junge Mann am anderen Ende der Leitung scheint
     nur die Achseln zu zucken.
    »Du siehst also, ich muss mich jetzt ganz auf dich verlassen, Nadeshda«, erklärt meine große Schwester.
     
    |53| Ich spreche das Thema einige Wochen später wieder an, als Mike und ich bei Vater zum Mittagessen sind. Dosenschinken, Kartoffeln,
     gekochte Karotten. Sein immer gleiches Menü, das er stolz für uns vorbereitet hat.
    »Hast du etwas von Valentina gehört, Papa?« (Leichter Plauderton.)
    »Ja. Sie hat geschrieben. Es geht ihr gut.«
    »Wo ist sie denn? Lebt sie wieder bei ihrem Mann?«
    »Ja. Im Moment schon. Ein sehr gebildeter Mensch übrigens. Direktor des Polytechnikums.«
    »Und was hat sie vor? Will sie wieder nach England kommen?« (Helle, unbeteiligt klingende Stimme.)
    »Hmm. Vielleicht. Ich weiß es nicht.« Er weiß es sehr wohl, aber er will es nicht preisgeben.
    »Und wer war eigentlich dieser braunhaarige Mann damals am Fenster, der so unverschämt zu dir war?«
    »Ah – das war Bob Turner. Ist übrigens ein sehr anständiger Typ. Tiefbauingenieur.« Ein, wie Vater erklärt, Freund von Valentinas
     Onkel in Selby. Turner hat zwei Häuser, eines in Selby, wo er mit seiner Frau lebt, und eines in Peterborough, das er von
     seiner Mutter geerbt und Valentina und ihrem Sohn zur Verfügung gestellt hat.
    »Und welche Art von Beziehung, glaubst du, hat er zu Valentina?«
    Für mich ist das eindeutig, aber ich möchte Vater durch eine Art platonischen Dialog dahin bringen, selbst zu begreifen, was
     Sache ist.
    »Nun ja – es war ein Verhältnis. Zwischendurch sah es sogar so aus, als würde er sie heiraten, doch seine Frau wollte sich
     nicht scheiden lassen. Selbstverständlich ist dieses Verhältnis jetzt aber beendet.«
    »Selbstverständlich ist es
nicht
beendet, Papa. Begreifst du denn nicht, dass sie dich verschaukeln?« Meine Stimme wird schriller. Aber er hört gar nicht zu.
     Sitzt da mit völlig |54| entrücktem Blick. Ein vierundachtzigjähriger Teenager, der seiner eigenen Musik im Kopf nachlauscht.
    »Im Übrigen hat er für meine Einbürgerung bezahlt«, murmelt er. »Wenn ich sie heirate, bin ich britischer Staatsbürger.«
    Wenn er sie heiratet   …
    »Aber Papa, frag dich doch mal, warum. Warum hat Bob Turner für deine Einbürgerung bezahlt?«
    »Warum?« Er lächelt selbstzufrieden. »Warum nicht?«
    Mein platonischer Dialog hat mich nicht sehr weit gebracht. Jetzt versuche ich es

Weitere Kostenlose Bücher