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Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch

Titel: Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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kann ich mich
     nicht erinnern. Mutter liebten wir alle, und sie liebte jeden von uns. Ich war das kleine Mädchen mit den Zöpfen und der getigerten
     Katze im Arm, dessen Foto auf dem Kaminsims steht. Wir sprachen eine andere Sprache als unsere Nachbarn und aßen anderes Essen,
     arbeiteten hart und gingen anderen Leuten aus dem Weg, und wir waren immer brav und ordentlich, damit nicht eines Nachts die
     Geheimpolizei kam und uns mitnahm.
    Als ich noch klein war, saß ich manchmal im Dunkeln im Schlafanzug oben auf der Treppe und lauschte und bemühte mich zu verstehen,
     was meine Eltern unten im Wohnzimmer miteinander redeten. Worüber sprachen sie? Ich konnte nur Brocken auffangen, aber ich
     hörte genau, wie dringlich ihre Stimmen klangen. Oder wenn ich ins Zimmer kam, fiel mir auf, wie der Tonfall ihrer Stimmen
     sich von einem Moment auf den anderen änderte und wie ihre Gesichter sich in einem kurzen Lächeln aufhellten.
    Redeten sie über diese andere Zeit und über dieses andere Land? Redeten sie darüber, was geschehen war in der Zeit zwischen
     ihrer eigenen Kindheit und meiner – etwas, was so schlimm war, dass ich es nie erfahren durfte?
    Meine Schwester ist zehn Jahre älter als ich und stand schon mit einem Fuß in der Welt der Erwachsenen. Sie |60| wusste Dinge, von denen ich keine Ahnung hatte, Dinge, über die man miteinander flüsterte, aber niemals laut sprach. Sie kannte
     Erwachsenen-Geheimnisse, die so schrecklich waren, dass das bloße Wissen darum ihr Herz hatte hart werden lassen.
     
    Jetzt, da Mutter tot ist, ist meine große Schwester zur Hüterin des Familienarchivs geworden, zur Märchenerzählerin, zur Wächterin
     der Geschichte, die definiert, wer wir sind. Diese Rolle vor allem ist es, um die ich sie beneide und die ich ihr übel nehme.
     Es ist an der Zeit, denke ich, diese Geschichte vollständig von Anfang bis Ende herauszufinden, damit ich sie auf meine eigene
     Art weitergeben kann.

|61| 5.
Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch
    Was weiß ich über meine Mutter? Ludmilla (Milla, Millotschka) Mitrofanowna wurde 1912 in Novaja Aleksandria geboren, einer
     kleinen Garnisonsstadt, die heute in Polen liegt, damals jedoch noch zum russischen Reich gehörte. Ihr Vater Mitrofan Otscheretko
     war Kavallerie-Offizier – ein Kriegsheld und ein Geächteter. Ihre Mutter Sonia, neunzehn Jahre alt, als Ludmilla zur Welt
     kam, war Junglehrerin und Lebenskünstlerin.
     
    Die Otscheretkos waren zwar keine Adligen, aber dennoch wohlhabende Bauern aus der ostukrainischen Poltawa-Region. Sie lebten
     am Rande eines Dorfes östlich des Flusses Sula und bewirtschafteten gut dreißig Hektar Land. Es waren hart arbeitende und
     trinkfeste Kosaken. Irgendwie hatten sie ein ausreichend großes Vermögen angesammelt, um die Bestechungsgelder bezahlen zu
     können, die fließen mussten, damit sie die Armee des Zaren mit Pferden beliefern durften. Dieses lukrative Geschäft wiederum
     gestattete ihnen, das Geld für den noch um einiges größeren Betrag anzusparen, der nötig war, um ihrem ältesten Sohn Mitrofan
     einen Platz an der Militärakademie zu sichern.
    Mitrofan Otscheretko scheint ein hervorragender Soldat |62| gewesen zu sein, furchtlos und klug, der nicht nur das Leben liebte, sondern auch den Tod respektierte. Anders als die den
     Adelsfamilien entstammenden Offiziere, die kaum jemals in Erwägung zogen, dass auch Bauern Menschen waren, ging Otscheretko
     mit seinen Truppen und dem Leben seiner Soldaten achtsam um und ließ sich nur dann auf Risiken ein, wenn es wirklich etwas
     zu gewinnen gab. Hochdekoriert kam er aus dem Schlamm und Gemetzel des Ersten Weltkriegs zurück. Seinen großen Augenblick
     hatte er 1916, als er sich am Narochsee bei einer Rettungsaktion für den Vetter des Zaren einen Oberschenkelschuss einfing.
     Das einsetzende Tauwetter hatte die Ufer des Sees in aufgewühlten sumpfigen Morast verwandelt, in dem der junge Aristokrat
     gefangen saß, bis Otscheretko sich zu ihm durchkämpfte, ihn herauszog und in seinen Armen durch das Artilleriefeuer in Sicherheit
     brachte.
    Für seine Tapferkeit erhielt er das St.-Georgs-Kreuz. Der Zar höchstpersönlich heftete es ihm an die Brust, und die Zarin
     tätschelte Klein-Ludmillas Köpfchen. Zwei Jahre später waren Zar und Zarin tot und Otscheretko geächtet und auf der Flucht.
    Nach der Revolution 1917 wollte er weder bei der Weißen Armee noch bei der sowjetischen Roten Armee dienen. Stattdessen brachte
     er

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